Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
jetzt bin, und ich muss das
ohne die ständige Angst tun, dass ich die Beziehung zwischen euch zer-
störe. Und ihr solltet herausfinden, wie ihr miteinander befreundet sein
könnt, auch wenn ich ein Teil euer beider Leben bin.«
Damon stieß einen skeptischen Laut aus, aber Elena redete weiter. »Ich
kann verstehen« – sie schluckte –, »wenn ihr nicht auf mich warten kön-
nt. Aber ich werde euch immer, immer lieben. Euch beide. Auf unter-
schiedliche Weise. Aber für den Moment kann ich mit keinem von euch
zusammen sein. Mit keinem .«
Sie war wieder den Tränen nahe und ihre Hände zitterten, als sie sich
über die Augen wischte.
Damon beugte sich über den Tisch und ein leicht verzerrtes Lächeln
umspielte seine Lippen. »Elena, hast du gerade mit uns beiden Schluss
gemacht?«
Das trocknete ihre Tränen sofort. »Damon, ich bin nie mit dir gegan-
gen«, gab sie wütend zurück.
»Ich weiß«, erwiderte er achselzuckend. »Aber trotzdem habe ich
gerade definitiv den Laufpass bekommen.« Er schaute Stefano an, wandte
den Blick jedoch hastig und mit verschlossener Miene wieder ab.
Stefano wirkte wie am Boden zerstört. Sein Gesicht war so trostlos, wie
man es bei einem über sechshundert Jahre alten Vampir kaum für mög-
lich hielt. »Was immer du willst, Elena«, sagte er. Es schien, als wolle er
die Hand nach ihr ausstrecken, doch dann zog er sie wieder zurück. »Was
auch geschieht, ich werde dich immer lieben. Meine Gefühle für dich wer-
den sich nicht ändern. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst.«
»Okay«, erwiderte Elena. Zittrig stand sie auf. Sie hatte das Gefühl,
jeden Moment zusammenzubrechen. Einerseits wollte sie Stefano an sich
ziehen und diesen trostlosen Ausdruck auf seinem Gesicht einfach
wegküssen.
Aber
andererseits
beobachtete
Damon
sie
mit
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undurchdringlichem Gesichtsausdruck, und es fühlte sich … falsch an,
einen von ihnen zu berühren. »Ich muss für eine Weile für mich sein«,
erklärte sie.
Zu jedem anderen Zeitpunkt, das wusste sie, hätten beide Brüder vehe-
ment dagegen protestiert, dass sie allein über den Campus ging. Und
wenn ihre Argumente nichts gebracht hätten, wären sie ihr gefolgt – alles,
um sie zu beschützen.
Doch jetzt trat Stefano mit gesenktem Kopf beiseite, um sie vom Tisch
wegtreten zu lassen. Damon saß einfach nur still da und beobachtete sie
mit verschleiertem Blick.
Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging Elena Richtung Tür. Ihre
Hände zitterten, in ihren Augen standen wieder Tränen, aber zugleich
hatte sie das Gefühl, eine schwere Last abgelegt zu haben; eine Last, die
sie schon seit einer ganzen Weile mit sich herumschleppte.
Das hier könnte die beste Entscheidung sein, die ich seit Langem get-
roffen habe, dachte sie.
Liebes Tagebuch,
dieser Ausdruck auf Stefanos Gesicht, als ich ihm sagte, dass ich mein-
en Freiraum brauche, tut mir immer noch in der Seele weh. Immer und
immer wieder sehe ich ihn vor mir und es schnürt mir die Brust zusam-
men. Es ist, als könnte ich nicht mehr atmen.
Ich wollte Stefano nicht wehtun. Niemals. Wie könnte ich auch? Wir
sind uns so nah, so sehr miteinander verbunden, dass er wie ein Teil
meiner Seele ist – ohne ihn bin ich nicht ich selbst, nicht vollständig.
Aber …
Ich liebe auch Damon. Er ist mein Freund – mein dunkles Spiegelbild
–, der kluge Intrigant, der tun wird, was immer notwendig ist, um das
zu bekommen, was er will. Und doch ist er in seinem tiefsten Inneren
voller Güte, von der kaum jemand weiß. Ich kann mir auch kein Leben
ohne Damon vorstellen.
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Stefano will mich so sehr. Aber ihm liegt wirklich etwas an seinem
Bruder. Und Damon liegt auch wirklich etwas an ihm. Doch die Tat-
sache, dass ich zwischen ihnen stehe, stört das brüderliche Einverneh-
men. Die Krisen der letzten Zeit – mein Tod und meine Wiedergeburt,
Nicolaus’ Angriff, Damons Rückkehr, der Kampf gegen das Phantom –
haben uns alle drei so zusammengeschweißt, dass jeder Schritt, den wir
machen, jeder Gedanke, den wir hegen, mit den jeweils anderen beiden
verknüpft ist. Aber wir können so nicht weitermachen.
Ich weiß, dass ich das Richtige getan habe. Ohne mich, die zwischen
ihnen steht, können sie wieder Brüder werden. Und erst dann kann ich
die verworrenen Beziehungsfäden sortieren, die mich mit beiden
Brüdern verbinden. Ohne Sorge darüber, dass ich das zerbrechliche
Band zwischen uns zerreißen könnte.
Es ist
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