Tai-Pan
Wunde aus, drückte das Messer tief und rasch hinein, denn jetzt tat Eile not, solange Sergejew bewußtlos war. Dann drehte er ihn herum und sondierte. Der Geruch verbrannten Fleisches stieg auf. Longstaff wandte sich ab und erbrach sich, aber Culum hielt durch und half. Longstaff drehte sich wieder um.
Struan erhitzte ein zweites Mal das Messer, goß Branntwein auch in die Schenkelwunde und brannte sie tief und gründlich aus. Der Kopf schmerzte ihn von dem Gestank, der Schweiß tropfte vom Kinn herab, aber seine Hände zitterten nicht. Er wußte, daß die Wunde in Fäulnis überging, wenn er dieses Ausbrennen nicht sorgfältig durchführte. Dann starb Sergejew mit Sicherheit. Mit einer solchen Wunde mußten neun Männer unter zehn dran glauben.
Endlich war er fertig.
Er verband Sergejew und spülte sich den Mund mit Branntwein aus; der Alkohol vertrieb den Geruch nach Blut und verbranntem Fleisch. Dann trank er einen großen Schluck und betrachtete Sergejew aufmerksam. Dessen Gesicht war grau und blutleer.
»Jetzt ist er seinem eigenen Joss überantwortet«, sagte er. »Wie geht es dir, Culum?«
»Danke. Ja, danke, ich glaube, ich hab's überstanden.«
»Geh nach unten. Schaff heißen Rum für alle Mann an Bord heran. Überprüf die Vorräte. Jetzt bist du die Nummer zwei an Bord. Stell fest, wer alles an Bord ist.«
Culum verließ das Achterdeck.
Die beiden russischen Diener knieten neben Sergejew. Einer von ihnen berührte Struan mit der Hand und stammelte ein paar Worte, offensichtlich einen Dank. Struan machte den beiden ein Zeichen, bei ihrem Herrn zu bleiben.
Er dehnte sich erschöpft, legte seine Hand auf Longstaffs Schulter, zog ihn auf die Seite und beugte sich dicht zu dessen Ohr vor. »Haben Sie Musketen bei den Chinesen gesehen?«
Longstaff schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Ich auch nicht«, sagte Struan.
»Überall sind Schüsse gefallen.« Longstaff war bleich und zutiefst besorgt. »Einer dieser unglücklichen Zufälle.«
Struan sagte eine Weile nichts. »Es wird aber sehr große Unannehmlichkeiten geben, falls er sterben sollte, was?«
»Wollen wir hoffen, daß er es durchsteht, Dirk.« Longstaff biß sich auf die Lippe. »Ich muß dem Außenminister sofort von diesem Zwischenfall berichten. Und ich werde eine Untersuchung einleiten.«
»Auf alle Fälle.«
Longstaff blickte in das graue Gesicht hinüber, das dem einer Leiche ähnelte. Sergejews Atem ging nur schwach. »Verdammt unangenehm, was?«
»Nach dem Einschußwinkel und nach der Stelle zu urteilen, an der er sich befand, als er getroffen wurde, besteht kein Zweifel, daß es eine unserer Kugeln gewesen sein muß.«
»Es war eben einer dieser unglücklichen Zufälle.«
»Kann sein. Aber die Kugel hätte auch gezielt sein können.«
»Unmöglich. Wer hätte ihn denn umbringen wollen?«
»Aber vielleicht hätte Sie jemand umbringen wollen? Oder Culum? Oder mich? Wir standen alle dicht beieinander.«
»Wer?«
»Ich habe ein Dutzend Feinde.«
»Brock würde Sie nicht so kaltblütig umbringen.«
»Das habe ich auch niemals behauptet. Aber setzen Sie eine Belohnung für entsprechende Mitteilungen aus. Vielleicht gibt es doch jemand, der etwas beobachtet hat.«
Sie standen nebeneinander und blickten zur Niederlassung hinüber. Sie lag jetzt weit achteraus: nichts als Flammen und Rauch, der über die Dächer von Kanton hintrieb. »Welch ein Wahnsinn, so zu plündern. Das ist noch niemals zuvor geschehen. Warum haben sie das wohl getan? Warum?« stieß Longstaff hervor.
»Ich kann es mir nicht vorstellen.«
»Sobald wir wieder in Hongkong sind, geht es nach Norden – diesmal bis vor die Tore Pekings! Der Kaiser wird es noch sehr bedauern, so etwas befohlen zu haben.«
»Ganz richtig. Aber führen Sie sofort einen Angriff gegen Kanton.«
»Wäre das nicht Zeitvergeudung?«
»Führen Sie den Angriff innerhalb einer Woche. Sie müssen ihnen ja nicht zu sehr zusetzen. Belegen Sie nur Kanton nochmals mit einer Buße. Sechs Millionen Taels.«
»Warum?«
»Bis die Flotte voll einsatzbereit ist, so daß Sie nach Norden vorstoßen können, dauert es noch einen Monat oder länger. Außerdem ist das Wetter noch nicht günstig. Sie müssen warten, bis die Verstärkungen eintreffen. Wann werden sie erwartet?«
»In einem Monat, vielleicht in sechs Wochen.«
»Gut.« Struans Gesicht verhärtete sich. »In der Zwischenzeit müssen die Co-hongs sechs Millionen Taels zusammenkratzen. Das wird ihnen eine Lehre sein, uns nicht zu
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