Tai-Pan
laufen.
»Rein ins Haus! Culum, Tess!« befahl Glessing. Er warf die Tür zu und stieß den Riegel vor. »Bis auf weiteres wird keine Tür mehr geöffnet.« Er zog die Stückpfortenverschlüsse vor die Sturmfenster und überprüfte alle Haken. Nun hatte Struan doch recht gehabt. Der Taifun würde mit voller Kraft genau über sie hinweggehen. »Ich bin sehr froh, daß Sie mit Ihrem Vater Frieden geschlossen haben, Culum. Und nun, glaube ich, wäre ein Frühstück angebracht«, sagte er, um die beiden abzulenken. »Mrs. Struan, wären Sie so gut, die Sache in die Hand zu nehmen?«
48
Struan rannte, so schnell er konnte. Ein paar Kulis eilten mit ihren Sänften an ihm vorbei nach Tai Ping Schan, und hier und dort suchte ein Europäer Deckung vor dem Unwetter. Durch den Regen sah Struan vor sich die Lorcha der Marine, die nun durch den Hafen in Richtung auf Happy Valley dahinjagte. Die aufgewühlte See war von einem stumpfen Graugrün. Eine Sturmbö raste mit unglaublicher Geschwindigkeit über das Wasser des Hafens hinweg; ihre Ausläufer erwischten die Lorcha, zerrissen ihr Großsegel und drückten sie nach einer Seite über. Struan stemmte sich gegen den Boden und wurde von der Bö erfaßt. Das Ganze dauerte nur ein paar Sekunden. Aber der sturmgepeitschte Regen hatte ihn geblendet und ihm fast die Füße unter dem Leib weggerissen. Als er die Augen wieder öffnen konnte, blickte er auf die See hinaus. Zu seinem Erstaunen war die Lorcha noch immer flott und kämpfte sich mit einem Kreuzsegel vorwärts; ihre Decks wurden von schweren Brechern überspült, die Fetzen ihres Großsegels flatterten.
Wieder begann Struan zu laufen. Er gelangte gerade in dem Augenblick auf die Pier von Happy Valley, als die weißschäumenden Brecher die Lorcha erfaßten und sie gegen das Pfahlwerk warfen. Ein Matrose sprang mit der Belegleine vom Schandeck des Vorschiffs hinunter, glitt aber aus und stürzte zwischen die Pier und das Schiff. Seine Hände packten die Kante der Pier. Er stieß einen Schrei aus, als das Schiff gegen die Anlegestelle geworfen wurde und ihn zerquetschte. Als der Rückstau das Schiff wieder wegzog, war der Matrose verschwunden.
Struan brüllte den entsetzten Matrosen zu, sie sollten warten, und stürzte vor. Ein Seemann warf ihm die Leine zu, und er schlang sie um einen Poller. Ein zweiter Seemann wagte den Sprung und gelangte mit der Achterleine glücklich auf die Pier.
Der Seegang wurde immer heftiger. Die Lorcha und das Pfahlwerk ächzten. Aber schließlich hatte die Lorcha festgemacht, und die Besatzung sprang an Land.
»Zur Faktorei!« Struan machte ihnen ein Zeichen, ihm zu folgen, rannte zur Eingangstür und stieß sie auf, während der Wind an ihm riß. Die Besatzung von acht Mann stürmte fluchend hinein.
Struan riß das nasse Zeug herunter. Da bemerkte er Horatio und Monsey. »Großer Gott, was tun Sie denn hier, Horatio? Hallo, Mr. Monsey!«
»Hätte niemals geglaubt, daß wir noch einmal Land sehen«, keuchte Monsey.
Horatio lehnte sich gegen eine Wand, stand heftig atmend da und mußte sich plötzlich übergeben.
Die Tür wurde aufgerissen. In einem Schwall von Wind und Regen trat der Kapitän – ein junger Leutnant – aufgeregt herein und schüttelte sich wie ein Hund. Struan ging an ihm vorbei und warf die Tür zu.
»Beim allmächtigen Gott!« stieß der Leutnant hervor. »Haben Sie den Himmel gesehen?«
»Was, zum Teufel, haben Sie denn auch an einem solchen Tag auf See zu suchen? Haben Sie denn nicht so viel Verstand, daß Sie in Macao Ihre Augen aufgemacht haben?«
»Natürlich! Aber ich erhielt Befehl, nach Hongkong auszulaufen, und so bin ich eben nach Hongkong gesegelt. Wir sind einem Wahnsinnigen in die Hände gefallen!«
»Was ist denn los?«
»Diesem blutrünstigen Generalbevollmächtigten für den Handel, Sir Clyde Whalen. Der verrückte Ire hätte mein Schiff mit der gesamten Besatzung fast auf den Grund des Meeres geschickt. Ich habe ihm gesagt, es sei ein Unwetter zu erwarten, aber er hat nur zum Himmel aufgeblickt und erklärt: ›Zeit genug, um hinzukommen. Sie haben Befehl zum Auslaufen, also laufen Sie aus!‹ Gott sei Dank, daß es den Hafen von Hongkong gibt!«
»Wie ist die See weiter draußen?«
»Noch eine Stunde, und wir hätten es nicht mehr geschafft. Zwanzig, dreißig Fuß hohe Wellen. Am schlimmsten ist dieser verfluchte Wind! Springt nicht um und läßt nicht nach – einfach unvorstellbar! Ist das nun ein Taifun oder nicht? Wie ist denn so etwas
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