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Taken

Taken

Titel: Taken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Bowman
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existiert auch ein Schulsystem. Ein Mädchen sehe ich oft, mit ihren wippenden Locken erinnert sie mich an Kale. Ich kann mir vorstellen, dass dieses Mädchen und alle Kinder von Crevice Valley irgendwann später in ihrem Leben zurückschauen und begreifen werden, was hier stattgefunden hat. Sie werden verstehen, dass sie nicht einfach gelebt, sondern Widerstand geleistet haben. Sie sind dem Beispiel ihrer Eltern gefolgt, haben sich in die Erde gegraben und sind inmitten einer Revolution aufgewachsen. Die Menschen hier haben sich dieses Leben ausgesucht. Doch diesen Luxus wird Kale nie haben. Ihr Leben wird immer ein Teil des Plans von jemand anderem sein.
    Mein absoluter Lieblingsort in Crevice Valley ist das Technologiezentrum. Es ist eine unordentliche Ansammlung von Gebäuden, Testgeländen und Lagerhallen, die im Kessel beginnt und sich in einer Reihe von Tunneln bis tief in den Berg ausbreitet. Während der größte Teil des Zentrums das Ergebnis von Clippers Arbeit ist, ist es unter Harvey noch einmal beträchtlich erweitert worden. Es gibt jetzt eine Waffeneinheit, wo Arbeiter jede Schusswaffe, jeden Bogen, Speer und jede Axt, die im Tal spazieren getragen werden, säubern, reparieren und verbessern, und einen Überwachungsraum, in dem Harvey nicht nur die Gebiete rund um Mount Martyr im Auge behalten, sondern auch alle Bewegungsmelder kontrollieren kann.
    An meinen ruhigeren Abenden gehe ich gern durch das Zentrum und bewundere die verschiedenen Bildschirme und leuchtenden Skalen. Manchmal beobachte ich Harvey aus der Ferne und mir fällt auf, mit welcher Geduld er an der komplizierten Ausrüstung arbeitet. In schlechter Haltung sitzt er da, die Schultern verspannt und vorgewölbt, und mit der Brille auf der Spitze seiner gekrümmten Nase. Wenn er mich dabei ertappt, wie ich ihn ansehe, lächelt er immer und winkt mir verhalten zu.
    An einem dieser ruhigen Abende gehe ich zu Harvey und stelle ihm eine Frage, die mir im Kopf herumgeht, seit er mir von Franks Laboren erzählt hat. »Wenn ein Duplikat einfach nur eine Kopie und körperlich und geistig identisch mit dem geraubten Jungen ist, warum ist sie dann Frank gegenüber so loyal?«
    Harvey nimmt seine Brille ab und legt sie auf den Tisch. »Das, Gray, ist eine fantastische Frage, auf die viele Menschen nicht kommen würden. Schließlich ist das der Grund dafür, dass vor mir keiner von Franks Laboranten in der Lage war, stabile Duplikate zu schaffen. Wenn es ihnen überhaupt gelang, dann war ihr Verstand zu unabhängig. Sie hinterfragten Franks Tun, und er hat diese Repliken rasch entsorgt. Ich dagegen interessierte mich leidenschaftlich für Technologie – ich liebte Codes und konnte mit Software umgehen –, und das war entscheidend.«
    »Das verstehe ich nicht ganz.«
    »Ein Duplikat ist so wie du und ich«, fährt er fort. »Es enthält die gleichen Organe, in ihm fließt das gleiche Blut, und es ist aus den gleichen Knochen aufgebaut. Aber du und ich, wir besitzen einen freien Willen, Gray. Ein Duplikat wird von einer Software gesteuert, einem Programm, das ihm ins Gehirn eingepflanzt wird und ihm sagt, wie es handeln und auf wen es hören soll.«
    Harveys Lächeln, das immer auf sein Gesicht tritt, wenn er über seine Leidenschaften redet, verblasst. »Als ich das geschaffen habe, funktionierte es wirklich phänomenal. Aber heutzutage ängstigt es mich eher, dass ich für eine so mächtige Waffe verantwortlich war.«
    »Warum haben Sie es dann getan, Harvey? Wieso haben Sie für ihn gearbeitet?«
    Darüber denkt er kurz nach. »Wahrscheinlich, weil ich jung und leicht zu beeindrucken war. Frank hat mich aus dem Waisenhaus geholt, in dem ich meine Kindheit verlebt habe, und nach Union Central gebracht, wo es modernste Laboratorien und Technologie gab und mehr Wasser, als ich jemals trinken konnte. Er hat mich sehr gut behandelt, und zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, eine Familie zu haben. Jemand machte sich etwas aus mir, benahm sich, als wäre er mein Vater. Ich wollte ihn erfreuen und ihm zeigen, dass ich alles konnte, dass ich klüger war als alle erwachsenen Männer, die in diesen Laboratorien für ihn arbeiteten. Das ist mir wohl wirklich gelungen, was?«
    Ich sage nichts, aber ich verstehe ihn, denn ich habe genauso für Frank empfunden, wenn auch nur ein paar Tage lang.
    »Und diese Sache mit den unendlich vielen Duplikaten?«, hake ich nach. »Wenn Sie in der Lage waren, ein erfolgreiches Duplikat anzufertigen, warum

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