Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Talivan (German Edition)

Talivan (German Edition)

Titel: Talivan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Tillmanns
Vom Netzwerk:
späten Abend, ebenso kühl wie an den ve r gangenen Tagen. Manches Mal hatte sie schon bedauert, keine wärmeren Kleider zu tragen, doch wie hätte sie wissen sollen, was sie erwartete? Mit der Dunkelheit kam ein kalter Wind auf, und sie hieß die Stute anhalten und stieg ab, um sie in den Wald zu führen, ein gutes Stück abseits des schmalen Weges. Nachdem das Tier versorgt war, begann sie, einen Haufen trockener Blätter zusammenzutragen, mit dem sie sich später würde bedecken und so zumindest ein wenig gegen die Kälte schützen können, die ihr nun immer deu t licher bewusst wurde. Zu ihrem Glück schlängelte sich schon seit zwei Tagen nahe dem Weg, auf dem sie ritt, ein Bach en t lang, so dass sie und das Pferd keinen Durst zu leiden brauchten. Während für die Stute jedoch stets reichlich Gräser vo r handen gewesen waren, war sie darauf angewiesen, g e nügend Beeren und Pilze zu finden. Zwar hörte sie oftmals kleinere Tiere im Unterholz, doch besaß sie keine Waffe; zudem war sie im Umgang mit Pfeil und Bogen oder einem Wurfmesser ohnedies nicht geübt und hätte sich nicht ei n mal zugetraut, ein unbewegtes Ziel zu treffen.
    Ein Feuer zu entzünden, wagte sie nicht; zu nahe moc h ten mögliche Verfolger noch sein. Im Nachhinein verfluc h te sie ihre Dummheit. Warum hatte sie nicht einfach ihr Schicksal annehmen können, statt ihm ausgerechnet auf einem so prächtigen Tier entfliehen zu wollen? Dass der eigentliche Besitzer des Pferdes die Tat ungesühnt lassen würde, konnte sie sich nicht vorstellen. Zwar mochte der Mann, der in Kleidung und Gebaren großen Reichtum hatte vermuten lassen, den geldlichen Verlust leicht ve r schmerzen können, doch war Reichtum gewöhnlich mit Macht verbunden, die niemand in Frage stellen durfte. Nein, sie konnte nicht wirklich daran zweifeln, dass er alles daransetzte, ihrer und des Pferdes habhaft zu werden. Ruhen j e doch musste sie, und da sie allein war, blieb ihr nichts a n deres übrig, als auf ihren leichten Schlaf sowie das Pferd zu vertrauen, das ihr so z u traulich erschien, als akzeptiere es sie bereits als neue Herrin, und das vielleicht – hoffen t lich – bei Gefahr Laut geben würde. Als ihr Magen nicht mehr gar so laut knurrte, streckte sie ihren von den ung e wohnten Strapazen des Reitens schmerzenden Körper auf dem weichen Waldboden aus, häufte die Blätter, so gut es ging, ü ber sich und fiel schnell in einen unruhigen Schlaf.
    Was war das gewesen? Sie setzte sich leise auf, noch halb im Traum versunken. Zwischen den Baumstämmen drang erstes Licht zu ihr durch. Ein Geräusch? Oder hatte sie nur ein Alp geweckt? Ein Krächzen, ganz in ihrer Nähe, ließ sie rasch umherblicken. Sie hockte sich zusamme n gekauert auf den Boden, blickte sich im fahlen Morgenlicht um, bis sie das Gesuchte fand, schlich geduckt zu dem massiv wi r kenden Aststück und mit diesem in der Hand weiter in die Richtung, in der sie das Krächzen vermutete. Da, wieder. Keines Menschen Kehle konnte dieses unheimliche Geräusch en t sprungen sein, und doch kam es ihr bekannt vor. Sie schlich weiter, bis sie plötzlich aus dem dichten Unte r holz heraus auf eine kleine Lichtung trat. Ein schwarzer Vogel, der ihr bis fast zu den Knien reichte, starrte sie au f merksam an, bevor er gleich vor ihr wieder sein schauerl i ches Krächzen ausstieß.
    Erschrocken stolperte sie einen Schritt zurück. ‚Ein U n glücksbote! Hexendiener!’, fuhr es ihr durch den Kopf. Wütend über die Wirkung, die der Aberglaube offensich t lich auch auf sie hatte, schalt sie sich eine Närrin und ging lan g sam wieder auf den Vogel zu. Nein, erinnerte sie sich, die wenigen Raben, die sie gesehen hatte, waren noch größer gewesen. Sie entsann sich einer anderen Vogelart, Rabe n krähe war wohl ihr Name, die ähnlich einem Raben klang und aussah. Ob diese Krähe hier wohl auch ein Unglück s bote war? Sie lächelte bitter. Besser, sie vertrieb das Tier, bevor es mit seinem unüberhörbaren Krächzen noch andere außer ihr anlocken würde. Mit nun festeren Schritten nähe r te sie sich dem Vogel. Dieser hüpfte ein Stück weit zurück, flog jedoch nicht auf.
    „Verschwinde schon“, murmelte sie ärgerlich und schwang drohend den Stock. Die Krähe krächzte erschrocken, bevor sie aufflatterte, um wenige Schritte weiter wieder zu Boden zu fallen.
    „Willst du nicht, oder …“, sagte die Frau leise und ging weiter auf das Tier zu. Diesmal blieb der Vogel ruhig si t zen, sah sie mit einem Ausdruck

Weitere Kostenlose Bücher