Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
wie er seinen Dienstherrn bestohlen hat. Und manches, was er sagt, mag euch schleierhaft erscheinen. Akros säuft wie ein Loch, müßt ihr wissen.«
Akros war ein heruntergekommenes Männchen mit blutunterlaufenen Augen und Fünftagebartstoppeln. »Was willst du wissen, Djukta?« fragte er schwankend.
»Forsch in deinem Gehirn, falls noch was davon übrig ist, und erzähl unseren Freunden alles, was du über Ayachin weißt.«
Der betrunkene Schulmeister lächelte, und seine trüben Augen leuchteten auf. Er setzte sich auf einen Stuhl und nahm einen Schluck aus seinem Krug. »Ihr habt Glück«, erklärte er mit schwerer Zunge. »Ich bin so gut wie nüchtern.«
»Das stimmt«, versicherte Djukta. »Wenn er besoffen ist, bringt er keinen Ton hervor.«
»Was wißt Ihr Herren von der Geschichte Astels?« fragte Akros die drei Fremden.
»Nicht sehr viel«, gestand Stragen.
»Dann will ich das Wichtigste zusammenfassen.« Akros lehnte sich im Stuhl zurück. »Es war im neunten Jahrhundert, als der damalige Erzprälat in Chyrellos beschloß, der elenische Glaube müsse wiedervereint werden – unter seiner Oberherrschaft natürlich.«
»Natürlich.« Stragen lächelte. »Darauf läuft es offenbar immer hinaus, nicht wahr?«
Akros rieb sich das Gesicht. »So ganz macht mein Gedächtnis nicht mehr mit. Deshalb könnte es sein, daß ich etwas auslasse. Jedenfalls zwang der Erzprälat die Könige von Eosien – es war vor der Gründung der Ritterorden –, ihm Streitkräfte zur Verfügung zu stellen. Otha war damals noch nicht geboren, und es war niemand in Zemoch, der die Truppen ernsthaft daran hinderte, als sie hier durchmarschierten. Der Erzprälat wollte die religiöse Einheit, doch die Edelleute in seiner Armee interessierten sich mehr für Eroberung. Sie verheerten Astel, bis Ayachin kam.«
Talen beugte sich mit leuchtenden Augen vor. Es war des Jungen einzige Schwäche: Eine gute Geschichte konnte ihn völlig in Bann schlagen.
Akros nahm einen weiteren Schluck. »Es gibt die widersprüchlichsten Geschichten darüber, wer Ayachin tatsächlich war«, fuhr er fort. »Einige meinen, er sei ein Prinz gewesen, andere, ein Baron, und es gibt sogar welche, die behaupten, nur ein Leibeigener. Ganz sicher aber war Ayachin ein fanatischer Patriot. Er rüttelte jene Edlen auf, die noch nicht zu den Invasoren übergelaufen waren. Und dann tat er etwas, was noch niemand zuvor gewagt hatte: Er bewaffnete die Leibeigenen. Der Feldzug gegen die Invasoren dauerte Jahre, und nach einer ziemlich großen Schlacht, die er scheinbar verlor, floh Ayachin gen Süden und lockte die eosischen Armeen in die astelischen Sümpfe im Süden des Reiches. Er hatte heimlich ein Bündnis mit Patrioten in Edom geschlossen, und so wartete eine große Streitmacht am Südrand des Sumpfes. Leibeigene, die in der Gegend lebten, führten Ayachins Männer durch den Sumpf. Die Eosier versuchten, das unsichere Gelände im Sturm zu nehmen; dabei fanden die meisten jedoch im Morast den Tod. Die wenigen, die es schafften, südlich des Sumpfes festen Boden zu erreichen, wurden von den vereinigten Streitkräften Ayachins und seiner edomischen Verbündeten niedergemacht.
Natürlich wurde er eine Zeitlang als großer Nationalheld gefeiert, doch die Edlen waren empört, weil er die Leibeigenen bewaffnet hatte. Sie verschworen sich gegen ihn, und schließlich fiel er einem Anschlag zum Opfer.«
»Warum müssen diese Geschichten immer so enden?« beschwerte sich Talen.
»Unser junger Freund hier ist ein beherzter Kritiker epischer Werke«, sagte Stragen lächelnd. »Er möchte, daß alle Geschichten ein gutes Ende haben.«
»Diese alte Geschichte ist ja schön und gut«, brummte Djukta, »aber entscheidend ist, daß dieser Ayachin zurückgekommen ist – das jedenfalls behaupten die Leibeigenen.«
»Das ist Teil der Volkssage Astels«, erklärte Akros. »Unter den Leibeigenen gab es die Prophezeiung, daß eines Tages erneut ein großer Kampf bevorstünde, und daß Ayachin dann aus dem Grab auferstehen würde, um sie wieder zu führen.«
Stragen seufzte. »Kann sich denn nicht jemand mal was Neues ausdenken?«
»Was meint Ihr damit?« fragte Djukta.
»Nichts weiter. Außer daß in Eosien zur Zeit eine ähnliche Geschichte die Runde macht. Aber welche Auswirkungen hätte das alles auf unsere Geschäfte, falls wir uns entschließen sollten, hier in der Gegend unserem Gewerbe nachzugehen?«
»In einem Abschnitt der Sage, die Akros erzählte, wird etwas
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