Tamuli 1 - Die schimmernde Stadt
mit ihrer Kleinmädchenstimme.
»Wir sind bald wieder zurück«, versprach Sperber seiner Gemahlin und entfernte sich im Kanter von der Karosse.
»Stragen kann manchmal sehr anstrengend sein«, klagte Danae. »Ich bin froh, daß Melidere sich mit seiner Umerziehung beschäftigen wird.«
»Wa-as?« entfuhr es Sperber verdutzt.
»Wo hast du deine Augen, Vater?«
»Du meinst, sie empfinden wirklich etwas füreinander?«
»Was Melidere betrifft, ja. Sie wird Stragen darauf aufmerksam machen, wie er empfindet, wenn sie soweit ist. Was ist in Darsas passiert?«
Sperber kämpfte ein wenig mit seinem Gewissen. »Würdest du sagen, daß du eine religiöse Person bist?« fragte er vorsichtig.
»Das ist eine seltsame Formulierung!«
»Beantworte nur die Frage, Danae. Gehörst du einer Religion an oder nicht?«
»Aber natürlich, Sperber. Ich bin der Mittelpunkt einer Religion.«
»Dann könnte man dich gewissermaßen zur Geistlichkeit zählen?«
»Worauf willst du hinaus, Sperber?«
»Sag einfach ja, Danae. Ich stehe an der Schwelle eines Eidbruches, und ich suche nach einer Möglichkeit, eine Entschuldigung dafür zu finden.«
»Ich gebe es auf. Ja, in gewissem Sinne kannst du mich zur Geistlichkeit zählen. Ich gehöre natürlich einer anderen Kirche an als du, aber die Bezeichnung trifft trotzdem zu!«
»Danke. Ich habe geschworen, mit niemandem darüber zu reden, außer mit anderen Geistlichen. Aber da du dazugehörst, darf ich es dir sagen.«
»Das ist reine Spitzfindigkeit, Sperber!«
»Ich weiß, aber es beruhigt mein Gewissen. Elron, Baron Kotyks Schwager, ist Säbel.« Er bedachte sie mit einem argwöhnischen Blick. »Hast du etwa wieder einmal deine Finger im Spiel?«
»Ich?«
»Du übertreibst die Wahrscheinlichkeit von Zufällen manchmal ein wenig, Danae«, sagte er. »Du hast es die ganze Zeit über gewußt, nicht wahr?«
»Nein. Jedenfalls nicht die Einzelheiten. Was du ›Allwissenheit‹ nennst, ist eine menschliche Vorstellung. Man hat sich das ausgedacht, damit die Leute glauben, daß nichts, was sie tun, verborgen bleibt. Ich habe Ahnungen – ich weiß ein paar Dinge, das ist alles. Ich wußte, daß es in Kotyks Haus irgend etwas von Bedeutung gab – genauso wie ich wußte, daß ihr es erfahren könnt, wenn ihr die Ohren offenhaltet.«
»Dann ist es so etwas wie Eingebung?«
»Das trifft es sehr gut, Sperber. Unsere Intuition ist weiterentwickelt als eure, und wir richten uns genau danach. Ihr Menschen neigt dazu, eure Intuition nicht zu beachten – vor allem ihr Männer. Aber in Darsas ist noch etwas geschehen, nicht wahr?«
Er nickte. »Der Schatten hat sich wieder einmal sehen lassen.
Emban und ich unterhielten uns gerade mit dem Erzmandriten Monsel, als er erschien.«
»Dann muß derjenige, der dahintersteckt, sehr dumm sein.«
»Wie die Trollgötter? Dummheit ist doch eine ihrer hervorstechendsten Eigenschaften, oder nicht?«
»Wir können nicht völlig sicher sein, daß es tatsächlich die Trollgötter sind, Sperber.«
»Weißt du das denn nicht? Ich meine, hast du keine Möglichkeit festzustellen, wer deine Gegner sind?«
Sie schüttelte den Kopf. »Leider nicht, Sperber. Wir können uns voreinander verbergen. Aber daß der Schatten euch in Darsas erschien, zeugt von soviel Dummheit, daß es wirklich auf die Trollgötter hindeutet. Wenn ich nur daran denke, wie sehr wir uns bemüht haben, ihnen klarzumachen, weshalb die Sonne im Osten aufgeht! Aber sie begreifen es immer noch nicht. Sie wissen zwar, daß die Sonne jeden Morgen wiederkommt, aber wo, wissen sie nie.«
»Du übertreibst.«
»Natürlich.« Sie runzelte die Stirn. »Aber versteifen wir uns lieber noch nicht darauf, daß wir es mit den Trollgöttern zu tun haben. Es gibt einige kaum merkliche Unterschiede. Sie könnten allerdings die Folge des Zusammenstoßes sein, den du mit den Trollgöttern im Azashtempel hattest. Du hast sie furchtbar erschreckt, weißt du. Aber ich vermute eher, daß sie sich mit jemandem verbündet haben. Meines Erachtens würden die Trollgötter direkter vorgehen. Wenn tatsächlich noch jemand im Spiel ist, ist er ein wenig kindisch. Er ist noch nicht viel in der Welt herumgekommen und von Menschen umgeben, die nicht sonderlich klug sind. Deshalb glaubt er, alle anderen wären ebenfalls wie sie. Mit dieser Erscheinung in Darsas hat er sich wirklich einen Schnitzer geleistet, weißt du. Sie war unnötig, und er hat damit nur bestätigt, was du diesem Kirchenherrn erzählt hast – du
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