Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief
Sterben liegt?«
Freunde , die zu viel zu tun haben? Freunde , die nicht Bescheid wussten? Vielleicht hat sie niemandem von ihrer Krankheit erzählt , Lori .
Auf die Idee, dass Miss Beacham ihre Krankheit womöglich geheim gehalten hatte, war ich bisher nicht gekommen. »Aber warum hätte sie das ihren Freunden verschweigen wollen?«
Vielleicht wollte sie sie nicht mit ihren Problemen belasten . Vielleicht hatte sie was dagegen , bemitleidet zu werden . Die Nachricht von ihrem Tod könnte doch für diejenigen , die sie gern mochten , einen gehörigen Schock bedeuten .
»Für Kenneth wird sie jedenfalls einen gewaltigen Schock bedeuten«, erklärte ich. »Wenn ich das Fotoalbum richtig interpretiere, ist er vor zwanzig Jahren verschwunden und hat keine Adresse hinterlassen.«
Ich starrte missmutig das von Efeu zugewachsene Fenster über dem Schreibtisch an. »Ich bin ein Einzelkind, Dimity. Ich weiß nicht, wie es ist, Geschwister zu haben, aber mir gefällt die Vorstellung, dass ich mit ihnen in Verbindung geblieben wäre, wenn ich welche hätte.«
Beziehungen unter Geschwistern können mit großen Schwierigkeiten belastet sein , Lori .
Zwistigkeiten in der Kindheit können zu lebenslanger Feindschaft führen .
»Aber Miss Beacham liebte ihren Bruder!«, wandte ich ein.
Vielleicht liebte er sie auch . Menschen verschwinden aus den unterschiedlichsten Gründen , Lori . Was , wenn Kenneth ein Verbrechen begangen hat? Was , wenn er die letzten zwanzig Jahre im Gefängnis war? Er könnte sich aus Scham von seiner Schwester losgerissen haben oder weil er den löblichen Wunsch hatte , sie davor zu beschützen , wegen seines Verbrechens an den Pranger gestellt zu werden .
Ich schürzte nachdenklich die Lippen. »Ein Verbrechen, das einem zwanzig Jahre einbringt, würde doch in den Zeitungen stehen, oder?«
Möglicherweise .
»Aber klar doch«, sagte ich mit Nachdruck.
»Kenneth hat wahrscheinlich eine Bank überfallen oder die Hunde der Königin entführt. Jedenfalls irgendwas Gravierendes. Ich meine, Ladendiebe werden doch nicht zwanzig Jahre lang eingesperrt.«
Vielleicht war Kenneth überhaupt nicht eingesperrt ! Bitte , Lori , denk dran , dass eine Haftstrafe nur eine von vielen möglichen Erklärungen für Kenneths Verschwinden ist .
»Aber eine gute. Zum Beispiel wüssten wir dann, warum Miss Beacham nicht über ihren Bruder sprechen wollte und warum Mr Moss sich keinen Deut um ihn schert. Ich werde Emma bitten, im Internet für mich zu recherchieren. Wenn Kenneth Beacham ein großer Fisch ist, wird sein Name garantiert irgendwo auftauchen.«
Vergiss nur nicht , dass sein Name auch aus anderen Gründen auftauchen könnte .
»Telefonbücher!«, rief ich aufgeregt. »Die sind ja auch alle im Internet! Wenn Kenneth irgendwo in England lebt, wird Emma ihn aufspüren können.«
Mein liebes Kind , mir ist klar , dass du ein hoffnungsloser Fall bist , was Computer betrifft , wohingegen Emma großes Geschick dafür hat . Aber ist sie momentan nicht voll ausgelastet? Gilt es da nicht die Kleinigkeit zu berücksichtigen , dass sie demnächst einen Reitstall eröffnet?
»Sie kann immer noch jederzeit ablehnen«, verkündete ich.
Was immer sie sagt , ich möchte dich inständig bitten , mit Miss Beachams Nachbarn zu sprechen .
Recherchen im Internet sind schön und gut , aber sie reichen nie an das heran , was die Mitmenschen über einen zu sagen haben . Am Ende wirst du noch Bauklötze staunen , was du alles erfährst .
Ich rieb mir nachdenklich das Kinn. »Morgen Vormittag arbeite ich in der St. Benedict’s Church.
Aber am Nachmittag könnte ich einen Abstecher in die St. Cuthbert Lane machen und ein paar Klingeln putzen. Wenn irgendjemand was über Kenneth weiß, werde ich es zutage fördern.«
Das weiß ich doch , meine Liebe . Finch hat dich alles gelehrt . Viel Glück .
»Danke, Dimity.«
Als sich die königsblauen Zeichen aufgelöst hatten, stellte ich das Notizbuch ins Regal zurück und setzte mich an den Schreibtisch, um Bill anzurufen.
Eigentlich erwartete ich, dass er mir raten würde, die Fahndung nach Kenneth Beacham den schläfrigen Bluthunden von Pratchett & Moss zu überlassen, aber zu meiner Überraschung unterstützte er mich auf der ganzen Linie.
»Ich weiß, dass das einen Schock für dich bedeuten wird, Lori«, sagte er in gespieltem Ernst,
»aber Anwälte sind nicht immer vertrauenswürdig.
Ich kann mir mehrere Gründe vorstellen – die meisten davon nicht gerade ehrenhaft
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