Tanz der Engel
auffing, da meine steif gefrorenen Beine einfach nachgaben, überstieg mein Bedürfnis an Fürsorge jedoch entschieden. Schließlich sollte ich beschützen und nicht beschützt werden.
»Zieh deine nassen Klamotten aus«, befahl Paul. »Du zitterst wie eine Gazelle im Eisbärengehege.«
»Wenn ich meine Kleider ausziehe, wird höchstens dir warm, mir bestimmt nicht!«
Sebastian grinste unverschämt, Paul verzog keine Miene. Eine Sekunde später lag seine Jacke vor mir – und seine Hose samt Gürtel. Die bunten, knielangen Shorts, die er darunter trug, waren nett, verstärkten aber nur meinen Widerstand.
»Vergiss es!«, zischte ich mit klappernden Zähnen. »Wir werden sowieso nass.«
»Nicht jetzt. Und bis dahin solltest du nicht erfroren sein.«
»Sondern lieber du?«
»Engel erfrieren nicht«, sagte Paul lapidar, packte Sebastian und zog ihn von der Brücke.
»Sag Bescheid, falls du Hilfe brauchst, und pass auf Pauls Gürtel auf«, rief Sebastian mir über die Schulter zu, bevor er mit Paul in der nächsten Seitengasse verschwand.
Pauls Hose war zu weit und zu lang, doch dank Krempeltechnik und dem MacGyver-Gürtel tragbar. Da meine Gefühle mehr als nur angeknackst waren, musste ich eine längere Pause einlegen. Noch eine blöde Bemerkung und ich hätte Paul – oder auch Sebastian – angesprungen, um meinen Frust loszuwerden. Dass ich heute das Ticket zum Ball ergattern würde, nachdem mir Lisa abhandengekommen war, rückte in weite Ferne.
»Und?«, fragte ich, als ich die beiden Jungs schließlich einholte. »Zufrieden?«
»Geht so«, brummte Paul. »Hauptsache, du kannst darin kämpfen.«
Ich nickte. Weit genug waren die Klamotten.
»Hast du schon eine Idee, wo sie sein könnten?«, wollte Sebastian wissen.
»Nein. Du?«
»Negativ«, bestätigte Sebastian.
»Und warum laufen wir dann die Straße runter und folgen nicht dem Kanal?«
»Das tun wir«, klärte Paul mich auf. »Hinter der nächsten Biegung treffen wir wieder auf Wasser.«
Auch hier führte eine schmale Brücke zur anderen Seite. Vorsichtiger als beim letzten Mal passierten wir den Übergang und folgten dem Weg, der am Kanal entlanglief.
»Und?«
Paul schüttelte den Kopf.
»Ich auch nicht«, bestätigte Sebastian.
»Und jetzt?«
Sebastian zuckte die Schultern – und ich blieb mit verschränkten Armen stehen. »Kann mir einer von euch verraten, was hier läuft?«
»Liebe Lynn, wir versuchen, unsere Aufgabe zu lösen und unsere Protegés zu finden«, erklärte Sebastian, als spräche er mit einem zweijährigen Kind.
Paul spürte, dass ich kurz davor stand, Sebastian ins Wasser zu stoßen, und schritt ein. »Erinnerst du dich an deinen Unterricht mit Kassandra Klar?«
»Natürlich. Ihre liebenswerte Art hat sich mir ins Gedächtnis gebrannt.«
Paul ging nicht auf meine zynische Antwort ein. »Im Mentaltraining lernen wir, Verbindung mit einem anderen Geist aufzunehmen. So können wir in Gedanken bei unseren Protegés sein und körperlich ganz woanders.«
»Und einschreiten, falls es Probleme gibt.«
»Genau«, bestätigte Paul meine Vermutung. »Schließlich habenwir ja auch noch ein Leben und können nicht rund um die Uhr präsent sein.«
»Weshalb das mit dem Beschützen nicht immer reibungslos hinhaut.«
»Meistens schon. Und ein wenig Eigenverantwortung schadet niemandem.«
»Außer heute«, mischte Sebastian sich ein. »Wenn wir unsere Protegés nicht finden, ist die Prüfung gelaufen.«
»Und wie soll ich das bitte machen? Ich hab keine Ahnung, wie ich eine Verbindung zu Lisa herstellen kann.«
»Das weiß das Prüfungskomitee. Falls es dir nicht aufgefallen ist: Dein Gegner kämpfte mit einer Lanze anstatt mit seinem Schwert.« Paul betrachtete mich nachdenklich. »So, wie’s aussieht, müssen wir ins Wasser. Wie lange kannst du die Luft anhalten?«
»Länger als du!«, blaffte ich. Immerhin tauchte ich jeden Sommer mit Philippe. Und Pauls Unterstellung, der Rat würde mich schonen, war lächerlich!
»Das bezweifle ich«, fuhr Paul fort. » Ich kann Sauerstoff aus Wasser ziehen, du , wie du eben unter Beweis gestellt hast, nicht!«
Jetzt übernahm Sebastian die Rolle des Schlichters. »Paul, das Problem können wir lösen, wenn’s so weit ist. Statt rumzustreiten, sollten wir lieber unsere Protegés aufspüren.«
»Sorry, ich …«, Paul seufzte und brach ab. Nervös strich er eine seiner gegelten Haarsträhnen zurück. »Der Kanal gabelt sich da vorn. Sollen wir versuchen, übers Wasser Verbindung
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