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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Schotten aus der Gegend, die uns führen sollten.
    Wir waren beide große Pferdeliebhaber, müssen Sie wissen, und das Reiten in diesem tückischen Hügelgelände machte uns großen Spaß. Wir hatten vorzügliche Pferde und genug Proviant, um über Nacht zu bleiben, wenngleich mir schon bald nach unserem Aufbruch mein Alter zu Bewußtsein kam und ich mancherlei Beschwerden und Plagen zur Kenntnis nehmen mußte, die ich bis dahin hatte ignorieren können. Unsere Führer waren jung. Mary Beth war jung. Ich ritt, mehr oder minder auf mich selbst gestellt, am Schluß, aber die Schönheit des Berglandes, der üppigen Wälder und des Himmels war wie eine Droge und machte mich glücklich.
    Wir ritten fast bis zum Sonnenuntergang.
    Erst da hatten wir das Glen erreicht, besser gesagt, einen Hang, der hineinführte. Und von einem hohen Felsvorsprung, der aus dem dichten Wald von schottischen Kiefern und Erlen und Eichen herausragte, sahen wir jenseits des Tales in der Ferne die Burg, ein hohles, überwuchertes, monströses Ding über dem schönen, glitzernden Wasser des Sees. Und im Tal selbst die einzelnen, hoch aufragenden Bögen der Kathedrale und den Steinkreis, entlegen, streng, aber deutlich sichtbar.
    Dunkelheit oder nicht, wir beschlossen, weiterzureiten; wir zündeten Laternen an und machten uns an den Abstieg zwischen vereinzelten Baumgruppen hindurch ins grasbewachsene Tal, und wir schlugen unser Lager erst auf, als wir die Überreste der Stadt – oder des besser sichtbaren Dorfes, das danach hier gewesen war – erreicht hatten. Mary Beth war dafür, das Lager zwischen den heidnischen Steinen aufzuschlagen. Aber die beiden Schotten weigerten sich. »Das ist ein Feenkreis, Madam«, sagte einer von ihnen. »Niemand würde es wagen, dort zu lagern. Die kleinen Leute würden das sehr übelnehmen, glauben Sie mir.«
    »Die Schotten sind genauso verrückt wie die Iren«, sagte Mary Beth. »Wieso sind wir nicht gleich nach Dublin gefahren, wenn wir Koboldgeschichten hören wollten?«
    Bei ihren Worten durchrieselte mich leises Grauen. Wir waren jetzt tief im breiten Glen. Von dem Dorf stand kein einziger Stein mehr auf dem ändern. Unsere Zelte und unsere Laternen würden meilenweit sichtbar sein. Und plötzlich fühlte ich mich seltsam nackt und ungeschützt.
    Wir hätten in die Ruine der Burg hinaufgehen sollen, dachte ich. Und dann erkannte ich: Wir hatten den ganzen Tag noch nichts von unserem Geist gehört, hatten seine Berührung nicht gespürt, seinen Rippenstoß, seinen Atem.
    Meine Angst wuchs. »Lasher, komm zu mir«, flüsterte ich. Ich fürchtete plötzlich, er sei fortgegangen, um denen, die wir liebten, etwas Schreckliches anzutun, weil er wütend sei.
    Aber er antwortete sofort. Als ich mit meiner dunklen Laterne allein ins hohe Gras hinausging, da kam er mit einer mächtigen, kühlenden Brise, so daß das Gras sich in weitem Rund vor mir verneigte.
    »Ich bin nicht zornig auf dich, Julien«, sagte er. Aber seine Stimme war schwer von Leid. »Wir sind in unserem Land, dem Land von Donnelaith. Ich sehe, was du siehst, und ich weine um das, was ich sehe, denn ich erinnere mich, was einst in diesem Tal war.«
    »Sag’s mir, Geist.«
    »Ah, die große Kirche, die du kennst, und die Prozessionen der Büßer und der Kranken, die meilenweit durch die Berge herunterkamen, um am Schrein zu beten. Und die blühende Stadt voller Läden und Händler, die Bilder verkauften… Bilder…«
    »Was für Bilder?« fragte ich.
    »Was weiß ich? Ich will wiedergeboren werden und mein Fleisch bei diesem nächsten Mal nicht wieder vergeuden, wie ich es in jenen Jahren tat. Ich bin nicht der Sklave der Geschichte, sondern der Sklave des Ehrgeizes. Verstehst du den Unterschied, Julien?«
    »Kläre mich auf«, sagte ich. »Gelegentlich kommt es vor, daß du mich wirklich neugierig machst.«
    »Du bist allzu offen, Julien«, sagte das Wesen. »Was ich meine, ist folgendes: Es gibt keine Vergangenheit. Absolut keine. Es gibt nur die Zukunft. Und je mehr wir lernen, desto mehr wissen wir – die Verehrung der Vergangenheit ist schlichter Aberglaube. Du tust, was du tun mußt, um den Clan stark zu machen. Ich ebenfalls. Ich träume von der Hexe, die mich sehen und uns Fleisch bringen wird. Du träumst von Reichtum und Macht für deine Kinder.«
    »Das stimmt«, sagte ich.
    »Etwas anderes gibt es nicht. Und du hast mich zurückgebracht an diesen Ort, den ich vielleicht nie verlassen habe, damit ich es weiß.«
    Ich stand müßig

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