Tanz der Hexen
streckte die Hände aus. Sie waren naß. Ihr Haar klebte feucht auf ihren Brüsten. Sie fror ein bißchen, aber die Luft im Zimmer war warm und still.
»Na, komm herein«, sagte die Frau und zog an ihrer Hand. Sie nahm ein Stück Tuch von einem Haken und fing an, Emaleths langes, tropfendes Haar trockenzureiben. Das Wasser bildete eine Pfütze auf dem blanken Fußboden. Wie sauber hier alles war. Wie unnatürlich. Wie anders als die duftende, pochende Nacht dort draußen, voller Flügel und rasender Schatten. Dies war ein Schutz vor der Nacht, vor den Insekten, die stachen, und vor den Dingen, die Emaleths nackte Füße zerschnitten und ihre nackten Arme zerkratzt hatten.
Der Mann stand regungslos da und starrte zu Emaleth hinauf.
»Hol ihr ein Handtuch, Jerome. Steh nicht da rum. Hol diesem Mädchen ein Handtuch. Und hol ihr Kleider. Kind, was ist mit deinen Kleidern passiert? Wo sind deine Kleider? Ist dir was zugestoßen? Was Schlimmes?«
Emaleth hatte noch nie solche Stimmen gehört, wie diese braunen Menschen sie hatten. Sie hatten einen musikalischen Klang, den die Stimmen der anderen Menschen nicht hatten. Sie hoben und senkten sich in einem deutlich anderen Muster. Das Weiß ihrer Augen war nicht rein weiß; es hatte einen matt gelblichen Ton, der viel besser zu ihrer wunderschönen braunen Haut paßte. Nicht einmal Vaters Sprache hatte diesen sanften Klang. Vater hatte gesagt: »Wenn du geboren wirst, wirst du alles wissen, was du wissen mußt. Du brauchst vor nichts Angst zu haben.«
»Seid gut zu mir«, sagte Emaleth.
»Jerome, hol die Kleider!« Die Frau hatte ein dickes Knäuel Papier von einer Rolle gerissen und betupfte damit Emaleths Schultern und Arme. Emaleth nahm das Papier und wischte sich das Gesicht ab. Hmmmm. Dieses Papier fühlte sich rauh an, aber es war nicht schmerzhaft rauh, und es roch gut. Papierhandtücher. Alles in der kleinen Küche roch gut. Brot, Milch, Käse. Emaleth roch die Milch und den Käse. Das dort war der Käse, nicht wahr? Leuchtend orangefarbener Käse, ein Block, der auf dem Tisch lag. Emaleth wollte etwas davon. Aber man hatte ihr nichts angeboten.
»Wir sind von Natur aus sanfte und höfliche Leute«, hatte Vater gesagt. »Deshalb haben sie uns in vergangenen Zeiten so schlecht behandelt.«
»Was für Kleider?« sagte der Mann namens Jerome und zog sich sein Hemd aus. »In dem Haus hier gibt’s nichts, was ihr passen könnte.« Er hielt ihr sein Hemd entgegen. Emaleth wollte es nehmen, aber sie wollte es auch anschauen. Es war blau und weiß gefärbt, in kleinen Vierecken, wie die roten und weißen Vierecke auf dem Tisch.
»Bubbys Hosen werden gehen«, sagte die Frau. »Hol ihr eine von Bubbys Hosen und gib mir das Hemd.«
Das kleine Haus glänzte. Die roten und weißen Vierecke auf dem Tisch glänzten. Wenn sie den Rand der roten und weißen Vierecke gepackt hätte, dann hätte sie sie alle herunterziehen können.
Emaleth war hungrig. Sie hatte Mutters Milch ausgetrunken, während Mutter mit starrem Blick unter dem Baum lag. Sie hatte geweint und geweint, und dann war sie zum Wasser gegangen und hatte darin gebadet. Das Wasser war grünlich gewesen und hatte nicht frisch gerochen. Aber am Rande der Wiese war eine Quelle gewesen, eine Quelle mit einem Griff daran. Da hatte Emaleth sich besser waschen können.
Der Mann kam eilig ins Zimmer zurück; er brachte eine lange Hose mit, wie Vater sie trug und wie er sie trug. Emaleth zog sie an, streifte sie über ihre langen, dünnen Beine hoch und hätte fast das Gleichgewicht verloren. Der Reißverschluß fühlte sich kalt an auf ihrem Bauch. Der Knopf war kalt. Aber das war in Ordnung. Als Neugeborene war sie überall noch ein bißchen zu zart.
Vater hatte gesagt: »Du wirst gehen, aber es wird dir schwerfallen.« Diese Hose war ein warmer, schwerer Schutz. »Aber vergiß nicht, du wirst alles tun können, was nötig ist.«
Sie schob die Arme in das Hemd, als die Frau es ihr hinhielt. Ja, dieser Stoff fühlte sich schöner an. Eher wie das Handtuch, mit dem die Frau immer noch ihr Haar betupfte. Emaleths Haar war goldgelb. Es leuchtete so hell an den Fingern der Frau, und die Handflächen der Frau waren rosig, nicht braun.
Emaleth schaute hinunter auf die Hemdknöpfe. Die Frau griff mit geschickten Fingern hin und knöpfte einen davon zu. Ganz schnell. Einfach so. Emaleth kannte das. Sie knöpfte die übrigen Knöpfe auch sehr schnell zu. Sie lachte.
Vater hatte gesagt: »Du wirst wissend zur Welt kommen,
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