Tanz der Hexen
Madam, danke«, sagte Yuri. »Ich trinke gern sehr schwarzen, starken Kaffee, und ich habe rasch eine schöne Tasse davon in einem der kleinen Cafes getrunken.«
Sie standen im wuchtigen Eingangsflur. Eine großartige Treppe schwang sich hinter ihnen empor, teilte sich auf dem Absatz und entsandte schmalere Treppen zur rechten und zur linken Wand. Der Boden war mit einem Mosaik gefliest, und die Wände waren wie die Außenwände von dunklem Terracotta-Rot.
»Das ist genau der Kaffee, den ich auch mache«, sagte Beatrice; sie nahm ihm den Regenmantel ab, half ihm regelrecht heraus. Der Revolver war gottlob in seiner Jackentasche. »Normal aufgebrüht, aber mit Espresso-Röstung. Jetzt gehen Sie in den Salon. Aaron wird ja so erleichtert sein.«
»Ah, dazu sage ich nicht nein«, antwortete Yuri.
Er sah einen Salon zur Rechten und einen zur Linken. Aber er spürte die Wärme, die aus dem einen kam, und dann sah er auch Aaron, der in einer seiner abgetragenen grauen Strickjacken, die Pfeife in der Hand, am Feuer stand. Wieder sah er beeindruckt die Lebenskraft, die in Aaron steckte und sich mit seinem Zorn und seinem Mißtrauen mischte.
»Wir haben eine Mitteilung von den Ältesten«, sagte Aaron. »Sie kam per Fax ins Pontchartrain Hotel.«
»Die Ältesten benutzen einen solchen Weg?«
»Das Fax ist vollständig in lateinischer Sprache verfaßt. Es ist an uns beide adressiert und liegt in zweifacher Ausfertigung vor – eine für jeden von uns.«
»Wie umsichtig von ihnen.«
»Setz dich. Ich werde es dir übersetzen.«
Yuri setzte sich. »Du brauchst es mir nicht zu übersetzen, Aaron. Ich kann Latein lesen.« Er lachte kurz. »Manchmal schreibe ich den Ältesten selbst auf Latein, nur um in Übung zu bleiben.«
»Ach, natürlich«, sagte Aaron. »Wie konnte ich das vergessen! Dumm von mir.« Er deutete auf die beiden glänzenden Faxkopien, die wie hingestreut auf ein paar Zeitschriften lagen -großen, teuren Kompendien von Möbeln und Architektur, voller Designernamen und berühmten Gesichtern und Werbeanzeigen für Gegenstände der Art, wie sie hier überall im Raum zu sehen waren.
«Erinnerst du dich nicht mehr an Cambridge?« fragte Yuri. »An die Nachmittage, als ich dir Vergil vorlas? Erinnerst du dich nicht mehr an die Marcus-Aurelius-Übersetzung, die ich für dich gemacht habe?«
»Doch, ich erinnere mich.« Aaron preßte die Lippen zusammen. »Ich trage sie bei mir. Ich werde langsam weich im Kopf. Ich bin sosehr an diejenigen aus deiner Generation gewöhnt, die kein Latein mehr können. Es war ein Ausrutscher. Wie viele Sprachen konntest du, als ich dich das erste Mal sah?«
»Ich weiß es nicht. Aber jetzt laß mich lesen.«
»Sag mir erst noch, was du herausgefunden hast.«
»Stolov wohnt im Windsor Court, sehr elegant, sehr teuer. Er hat zwei andere Männer bei sich, womöglich drei. Es sind noch andere vom Orden da. Sie sind mir gefolgt. Auf der anderen Straßenseite steht einer von ihnen. Alle haben das gleiche Alter und den gleichen Stil – junge Angelsachsen oder Skandinavier, dunkle Anzüge, alle gleich. Ich würde sagen, sechs von ihnen kenne ich mittlerweile vom Ansehen. Sie haben nicht versucht, sich zu verbergen. Im Gegenteil, ich glaube, sie haben die Absicht, mir angst zu machen, mich unter Druck zu setzen, wenn du weißt, was ich meine.«
Beatrice kam hereingerauscht; ihre hohen Absätze klapperten glamourös auf dem Fliesenboden.
Sie stellte ein Tablett mit kleinen, dampfenden Espressotassen hin.
»Es ist eine ganze Kanne da«, sagte sie. »Jetzt werde ich Cecilia anrufen.«
»Gibt es Neuigkeiten von der Familie?« fragte Yuri.
»Rowan geht es gut. Es gibt keine Veränderung. Es sind Gehirnaktivitäten vorhanden, aber sie sind minimal. Immerhin atmet sie allein.«
Sie schien noch etwas sagen zu wollen, aber dann ging sie einfach zu Aaron und gab ihm einen schroffen, liebevollen Kuß. In einer Wolke von Seide klapperte sie hinaus, wie sie hereingekommen war.
Yuri war entzückt von dem Kaffee. Eine ganze Kanne. Bald würden ihm die Hände zittern, und er würde Verdauungsstörungen bekommen, aber das machte ihm nichts aus. Wer Kaffee liebt, der opfert dieser Liebe alles.
Er nahm das Fax vom Tisch.
Sein Latein war so gut, daß er es nicht erst im Kopf übersetzen mußte. Er verstand es so gut wie jede andere Sprache, die er beherrschte.
Von den Ältesten
an
Aaron Lightner
Yuri Stefano
Gentlemen,
Selten standen wir vor einem solchen Dilemma – der Desertion
Weitere Kostenlose Bücher