Tanz der Kakerlaken
die ihn so erschreckt hatte, daß er heruntergefallen war, jetzt ein Rumpeln von sich gab, sich dann räusperte und ausrief: »ROSINENBRÖTCHEN!«
»Steck dir dein Rosinenbrötchen sonstwohin«, entgegnete Chid der Uhr. Er ließ den Blick über das Kaminsims schweifen, auf der Suche nach Junker John. Höchstwahrscheinlich war er den mörderischen Dämpfen des Sprays der Frau zum Opfer gefallen, aber wo war sein Leichnam?
Später tönte die Uhr »BONBON!«, aber Chid war nicht beeindruckt. Er ignorierte sie. Die Frau jedoch regte sich und wurde langsam wach. Chid sprang von Ihrer rechten Hand hinunter und huschte unter das Laken. Die Frau stieg nicht aus dem Bett, Sie saß bloß da, die Knie bis ans Kinn gezogen, und blickte gedankenverloren in eine Ecke des Zimmers. Dann wurde Ihre Träumerei – und Chids Beobachtung –plötzlich durch das gellende Schreien des schwarzen Riesenkäfers mit der schwarzen Riesenameise obendrauf gestört. Chid sah von Ehrfurcht ergriffen zu, wie Sie die Ameise hochhob und nahe an Ihr Gesicht hielt.
»Guten Morgen, Omi«, hörte er Sie zu der Ameise sagen.
Aber diese Großmutterameise war stumm, oder aber sie verständigte sich auf übersinnliche Weise. »Nein, kein Problem«, sagte die Frau. Dann sagte Sie, als antwortete Sie auf eine Frage: »Heute morgen erst.« Chid hörte mit wachsender Faszination zu, während Sie fortfuhr: »Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß mein Brief ihn wahrscheinlich verärgert hat; er will nicht, daß ich an ihm herumnörgle, und er hat es nicht nötig, daß ihn jemand wegen seiner Trinkgewohnheiten rügt. Wahrscheinlich denkt er, es hört sich wie Bestechung an: Ich werde mit ihm reden, wenn er aufhört zu trinken. Ich schätze, es ist Bestechung, wenn du's recht bedenkst. Und natürlich hat er nicht die geringste Absicht, damit aufzuhören. Anstatt also meinen Brief zu beantworten, straft er mich mit Schweigen. Nun, soll er ruhig. Ich bin länger hier als er, und ich werde noch hier sein, wenn er wieder weg ist, falls er jemals von hier weggeht. Manchmal wünschte ich, er würde es tun. Aber vielleicht will er vorher das Buch über Montross schreiben. Ja, ich glaube, vielleicht hat er meinen Brief unter anderem deshalb nicht beantwortet, weil er wieder an dieser Abhandlung über Montross arbeitet, die er für den Southern Review schreiben wollte. Könnte sein, daß er sich hinreichend ausgenüchtert hat, um sie zu schreiben. Wenigstens habe ich ihn jetzt seit mehreren Tagen nicht mehr mit seiner Pistole schießen hören. Das muß einfach bedeuten, daß er nicht mehr zuviel trinkt. Was? Äh-hum. Uh-hoh. Nun, ja. Vielleicht hast du recht, aber so hab ich die Sache noch nicht betrachtet. Könnte sein. Nun, ich sag dir was, Omi. Ich glaube, ich warte bis Ende dieser Woche, bloß um zu sehen, ob er nicht vielleicht doch meinen Brief beantwortet, okay? Ich will nicht, daß es so aussieht, als wollte ich ihn drängen oder als läge mir allzuviel daran. Ich warte bis Ende dieser Woche, und wenn er dann meinen Brief immer noch nicht beantwortet hat, schreibe ich ihm noch einen. Na, wie hört sich das an? Ich werde ihm nochmal schreiben und mich gewissermaßen entschuldigen, falls ich ihn gekränkt haben sollte. Ja. Äh-hum. Da hast du recht. Danke vielmals, Omi, das ist wirklich nett von dir.
Ach, und hör mal, noch was. Ich glaube, ich habe wirklich ein Kakerlakenproblem. Ich hab wieder eine gesehn. Sie ist auf meinem Kamin rumgeklettert und runtergefallen oder runtergesprungen. Ich hab versucht, sie zu zertreten, aber die Dinger können echt flitzen, weißt du? Sie ist unter mein Bett gerannt. Ich hab versucht, irgendein Insektenspray zu finden, aber ich hab keins. Ich hab nur Haarspray gefunden. Ob's gewirkt hat, weiß ich nicht, aber ich hab sie nicht wieder gesehn.
Lach nicht. Jedenfalls, nachdem ich das Haarspray versprüht hatte, hab ich mir einen Drink eingegossen, um meine Nerven zu beruhigen. Einen harten Drink. Der erste, den ich getrunken hab, seit er das letztemal hier war. Ich wollte auch sehen, aber wehe du lachst, ob ich nicht rausfinden kann, was er am Trinken so toll findet. Nein, ich hab keine Antwort gefunden. Aber ich versuch's vielleicht nochmal. Hast du nicht Lust, heut nachmittag rüberzukommen und einen Gin Tonic mit mir zu trinken? Ach ja? Schön, morgen vielleicht? …«
29.
Wenn du doch bei mir wärst, Tish, um mein Dolmetscher zu sein. Wenn ich dich nur hier hätte, um mir zu erklären, was diese Kerle hier sagen. Sie
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