Tanz der Sinne
Schultern.
»Wer ist das?«
Sie lachte zittrig. »Wir hatten keine Gelegenheit, uns miteinander bekanntzumachen, aber ich glaube, er ist der Mann, in den Kira vor ein paar Jahren verliebt war. Sie hätte ihm nie ihren Spitznamen verraten, wenn es ihr nicht ernst gewesen wäre.«
Lucien musterte den dunkelhaarigen Mann, der inzwischen wieder zu sich kam. »Seine Manieren lassen zu wünschen übrig.«
»Er war ziemlich durcheinander.« Sie erschauerte.
»Aber ich bin sehr froh, daß du rechtzeitig gekommen bist.«
Der Mann richtete sich benommen auf. Auf seinem Kinn zeichnete sich bereits eine Schwellung ab. »Na los«, sagte er müde. »Rufen Sie die Wache oder die Polizei oder wie zum Teufel ihr das in London nennt. Es ist mir vollkommen gleichgültig.«
Lucien sah ihn scharf an. »Ihrem Akzent nach zu urteilen sind Sie Amerikaner oder Kanadier.«
»Amerikaner.« Der Fremde warf Kit einen sarkastischen Blick zu. »Natürlich bist du zu klug, um dem derzeitigen Liebhaber von den vorigen zu erzählen.«
»Wenn Sie nicht aufhören, die Dame zu beleidigen, breche ich Ihnen den Unterkiefer«, sagte Lucien höflich. Er ließ Kit los, bückte sich und zerrte den anderen Mann hoch. »Hast du irgendwas zu trinken, Kit? Ich glaube, der Herr hat eine Erfrischung nötig.«
Sie ging an den Schrank, in dem der Sherry stand. Lucien hatte den leichten Akzent natürlich bemerkt. Sie dachte sich, daß auch ihm nach der langen Reise ein Schluck guttun würde, goß zwei Gläser ein und reichte sie den Männern. Der Fremde saß inzwischen mit gesenktem Kopf auf der Chaiselongue. »Erschrecken Sie nicht«, sagte sie. »Ich bin nicht Kira. Ich bin ihre Zwillingsschwester Kit. Offenbar hat sie mich nie erwähnt.«
Er schrak hoch und starrte sie ungläubig an. Dann hob er seine freie Hand und fuhr mit den Fingern über ihr Gesicht. »0 Gott«, flüsterte er. »Es ist wahr – Sie sind nicht Kira.« Sein Gesicht wurde aschfahl. »Es tut mir entsetzlich leid. Wenn ich das geahnt hätte, hätte ich mich anders benommen.«
»Ich möchte nicht hoffen, daß Sie das für eine angemessene Art halten, meine Schwester zu behandeln«, sagte sie spröde. »Natürlich hätte ich mich auch anders benommen, wenn ich Kira wäre.«
Er konnte ihr nicht in die Augen sehen. »Zwei endlose Jahre lang hat der Gedanke an Kira mich am Leben erhalten. Ich habe mir vorgestellt, sie würde mir um den Hals fallen. Als Sie mich wie einen flüchtigen Bekannten behandelt haben, habe ich den Verstand verloren. Ich hoffe, Sie können mir verzeihen.«
Sie studierte sein bleiches Gesicht. Armer Teufel.
»Vergeben und vergessen. Aber wer sind Sie?«
»Jason Travers.« Sein Mund zuckte. »Zu Ihren Diensten, wenn auch etwas verspätet.«
»Ein Verwandter?« fragte Lucien.
Kits Augen wurden groß. »Ich glaube, das hier ist der amerikanische Cousin zweiten Grades, von dem ich dir erzählt habe – der fünfte Graf von Markland.«
Lucien pfiff leise. »Interessant. Der Umstand, daß er ein Mitglied des Adels ist, dürfte nützlich sein, falls die Behörden herausfinden, daß er hier ist.«
An den Amerikaner gewandt, sagte er: »Sie sind von einem Gefängnisschiff geflohen?«
Entsetzt rief Kit: »Diese schrecklichen Kerker, die draußen auf der Themse verankert sind? Sicher nicht!«
Jason lächelte bitter. »Ich fürchte, es ist so – ein schwimmender Hades. Gestern ist es mir gelungen, über Bord zu springen. Ich wäre fast erfroren und um ein Haar ertrunken.« Er musterte Lucien mißtrauisch. »Wie haben Sie das rausgefunden? Und wer sind Sie?«
»Lucien Fairchild, der zukünftige Gatte der jungen Dame, die Sie überfallen haben.« Lucien streckte die Hand aus. »Sie sehen aus wie jemand, der lange von Gefängniskost gelebt hat. Es gibt einige amerikanische Kriegsgefangene da draußen, daher war es eine logische Erklärung.«
Jason schüttelte die angebotene Hand und trank einen Schluck Sherry. Er zitterte und schien kurz davor, zusammenzubrechen.
Lucien sagte zu Kit: »Wir sollten ihn zu mir bringen. Er braucht eindeutig etwas zu essen, Kleider und Ruhe.«
Sie nickte. Ihr neuer Cousin sah verwirrt auf. »Sie schicken mich nicht zurück? Nach dem, was ich zuletzt gehört habe, führen unsere Länder Krieg gegeneinander.«
»Nicht mehr lange, so Gott will. Dieser Krieg war Wahnsinn von Anfang an. Und ehrlich gesagt, ich würde keinen tollwütigen Hund wieder auf die Schiffe schicken.« Lucien half dem Amerikaner auf die Beine. »Können Sie laufen?
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