Tanz der Sinne
Minuten bin ich wieder in Ordnung.«
Er blieb überrascht stehen. »Wie oft kommt so etwas vor?«
»In leichterer Form schon mein ganzes Leben.«
Sie seufzte erschöpft. »In letzter Zeit ist es schlimmer geworden. Jetzt bin ich nicht nur müde, sondern so ausgelaugt, daß ich kaum stehen kann. Auch die Alpträume sind anders. Ich glaube, es hängt mit meiner Angst um Kira zusammen.«
»Möglicherweise.« Er goß ihr ein Glas Wasser ein und brachte es ans Bett. »Kommt das Auspeitschen in allen Alpträumen vor?«
Sie überlegte. »Ich glaube schon.«
Er stützte sie beim Trinken und half ihr dann, sich in die Kissen zurückzulegen. Während er vor dem Kamin kniete und das Feuer anfachte, fragte er:
»Könnte es sein, daß du nicht träumst, sondern Kiras Gedanken und Erlebnisse mitempfindest?«
»Das glaube ich nicht«, sagte sie zweifelnd.
»Zwischen dem Erraten von Gefühlen und Gedanken lesen besteht ein großer Unterschied.«
»Denk nach. Die Peitsche – hast du sie in der rechten Hand gehalten oder in der linken?«
Sie starrte ihre Hände an, und ihr Gesicht wurde bleich. »In der rechten – Kiras Hand, nicht meiner.« Sie sah verblüfft zu Lucien auf. »Aber die Bilder waren wie in einem Alptraum, vollkommen unwirklich. Kira würde nie absichtlich jemandem weh tun.«
Nüchtern sagte er: »Du hast gesagt, daß der Mann es zu genießen schien. Vielleicht wollte er, daß sie ihn auspeitscht.«
»Niemand kann derartige Qualen genießen!«
»Nicht unbedingt.« Er setzte sich auf die Bettkante und nahm ihre Hand. »Der Ursprung der Lust ist vielfältig und rätselhaft. Für manche Menschen sind Lust und Schmerz so dicht miteinander verwoben, daß die richtige Art Schmerz sie erregt.«
Er sah ihren Unglauben. »Ich weiß, daß es unglaublich klingt, aber es gibt hier in London mehrere Bordelle, die auf Auspeitschungen spezialisiert sind. Ich kenne eine der Besitzerinnen, und sie lebt sehr gut davon.«
Kit biß sich auf die Lippen, als ihre journalistische Neugier ihre persönlichen Gefühle überwältigte.
»Hat sie dir je erklärt, warum Männer zu ihr kommen?«
»Dolly sagt, daß viele ihrer Kunden sehr einflußreiche Männer mit großer Verantwortung sind. Es erregt sie, in einer Lage zu sein, in der sie hilflos sind und deren einziges Ziel Sex ist.
Genauso gibt es Frauen, die gerne die Peitsche schwingen, weil es ihre einzige Gelegenheit ist, einen Mann vollkommen zu beherrschen.«
»Irgendwie klingt das sogar logisch.«
»Erwarte nicht zuviel Logik – das Thema ist nicht besonders rational«, sagte er trocken. »Es gibt Männer und Frauen mit diesem besonderen Hang, und manchmal wechseln sie sich an beiden Enden der Peitsche ab. Und nicht nur das. Dolly hat Kunden, die hingerissene Schilderungen davon geben, wie sie als Kinder von Kindermädchen oder Schulmeistern verprügelt worden sind.
Seitdem suchen sie nach der gleichen Mischung von Lust und Schmerz. Wieder andere – « Er stockte. »Egal. Ich vermute, du hast eine Vorstellung.«
Kit umklammerte seine Hand. »Glaubst du, daß Kira in eines von diesen Bordellen verschleppt worden ist?«
»Das ist unwahrscheinlich – diese Etablissements haben es nicht nötig, Angestellte zu entführen. Es gibt Damen der Gesellschaft, die gelegentlich zu Dolly gehen und dort umsonst arbeiten.« Es war ihm unangenehm, Kit diese Dinge erklären zu müssen. »Ich glaube, dein ursprünglicher Verdacht war richtig. Kira ist von jemandem entführt worden, der besessen von ihr ist. Aber er bevorzugt ungewöhnlichere Methoden als eine einfache Vergewaltigung. Sobald sie seine Gefangene war, konnte er ihr beibringen, was ihm gefällt und ihr klarmachen, daß es in ihrem eigenen Interesse ist, ihm zu Willen zu sein.«
»0 Gott!« Kit preßte eine Hand an ihren Mund.
»Wie widerlich.«
»Ihr hätte viel Schlimmeres passieren können«, sagte er eindringlich. »Es würde erklären, warum du spürst, daß es ihr körperlich gutgeht, obwohl sie seelisch leidet.«
Kit runzelte die Stirn. »Wenn dieser Mann davon erregt wird, daß er hilflos ist, warum hält er sie dann gefangen? Er ist immer noch in Kontrolle, selbst wenn sie die Peitsche in der Hand hat.«
Lucien zuckte die Achseln. »Vielleicht ist er unfähig zu echter Hilflosigkeit und verschafft sich die Illusion von Unterwerfung, während er letztendlich die Oberhand behält.«
Mit einem Ausdruck, als wolle sie die Antwort nicht wirklich wissen, fragte sie: »Hast du je so etwas gemacht,
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