Tanz der Sinne
vielleicht war sie seine Geliebte gewesen und er hatte ihr den Laufpaß gegeben, so daß sie sich rächen wollte.
Eins war vollkommen klar: sie hatte Lucien wieder einmal zum Narren gehalten.
Die Pause ging zu Ende, und der nächste Akt der Zigeunerbraut begann. Zarte Bande entspannen sich zwischen Anna und Horatio, und sie standen kurz vor einer Zigeunerhochzeit. Dann erschien der Herzog von Omnium und flehte seinen Sohn an, ihm zu vergeben, daß er die bösen Lügen seines Vetters geglaubt hatte.
Nach der Versöhnung mit seinem Vater bat Horatio Anna um ihre Hand. Er versprach ihr ein Leben in Luxus und eine Zukunft als die nächste Herzogin von Omnium. Tränenüberströmt wies sie ihn ab, weil ihre niedrige Geburt sie unwert machte, eine Herzogin zu sein.
Gerade, als die beiden Liebenden für immer voneinander schieden, hatte der König der Zigeuner seinen großen Auftritt, begleitet von einer ganzen Schar tambourinschlagender Tänzerinnen. Der König verkündete, daß Anna in Wahrheit die Tochter eines Herzogs war, die man wegen ihrer außergewöhnlichen Schönheit als Kind entführt hatte. Nachdem ihre Herkunft als akzeptables Mitglied des Hochadels bewiesen war, nahm Anna Horatios Antrag mit Freuden an. Das Stück endete damit, daß das gesamte Ensemble einschließlich des Herzogs von Omnium fröhlich ums Lagerfeuer tanzte.
Vom folkloristischen Aspekt her war das Stück lächerlich. Lucien nahm sich vor, seinem Freund Nicholas zu sagen, daß er es sich ansehen sollte, er würde die Darstellung der Roma sicherlich komisch finden. Aber als Komödie war es wirkungsvoll, und Cassie James war das Allerbeste.
Nachdem das Ensemble sich verbeugt und die Bühne verlassen hatte, sagte Ives: »Ich mache mich jetzt auf die Suche nach Cleo. Wollen Sie mit mir ins Künstlerzimmer kommen, oder sollen wir uns hier voneinander verabschieden?«
Lucien stand auf und nahm sein Cape, das er über einen leeren Stuhl geworfen hatte. »Ich komme mit. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich darauf brenne, die talentierte Miss James kennenzulernen.«
Kapitel 12
Das Künstlerzimmer wimmelte von
überschwenglichen Schauspielern und ihren Freunden. Der Tumult nach einer Vorstellung war Kit immer unangenehm, daher stand sie mit dem Rücken zur Wand und hielt Hof. Ein Dutzend Männer stand im Halbkreis vor ihr, machte ihr ausgefallene Komplimente und wetteiferte um ihre Aufmerksamkeit.
Inzwischen beherrschte sie das zweideutige Geplänkel, das den Herren so gefiel. Als ein Bewunderer sagte: »Sie waren der reinste Engel heute abend, Miss James«, antwortete sie neckisch: »Wenn das wahr ist, sollten die Engel sich in acht nehmen.«
Die Männer lachten. Ein gezierter Kerl sagte seelenvoll: »Sind Sie sicher, daß Sie mein Angebot nicht akzeptieren wollen? Ich wäre überglücklich, Ihr Beschützer sein zu dürfen.«
Sie musterte ihn nachdenklich. »Männer versuchen andauernd, mich zu beschützen. Und ich weiß nie, wovor.«
Die Gruppe begann, lärmend Vorschläge zu machen, vor wem von ihnen sie am ehesten beschützt werden mußte. Während die Namen hin- und herflogen, behielt sie ein Auge auf den umliegenden Raum und suchte nach einem Anzeichen des Schrecks oder der Überraschung, irgend etwas, das ihr bei ihrer Suche weiterhelfen würde.
Lord Ives war gekommen und verließ gerade mit einer lächelnden Cleo am Arm das
Künstlerzimmer. Nach dem, was Cleo sagte, war er ein anständiger junger Mann. Andere Höllenhunde sah sie nicht. Die Theatergänger unter ihnen hatten Die Zigeunerbraut sicher schon lange gesehen, sie würde heute abend also nicht viel herausfinden.
Sie wandte sich wieder ihren Bewunderern zu, als ein nüchterner junger Mann versuchte, ihr ein religiöses Traktat in die Hand zu drücken. »Das Theater ist nicht der rechte Ort für eine anständige Frau«, sagte er ernsthaft. »Lesen Sie das hier, dann werden Sie Ihren Irrweg erkennen.«
Sie lehnte ab und sagte mit verruchtem Lächeln:
»Irren ist menschlich – und ein göttliches Gefühl.«
In dem brüllenden Gelächter, das folgte, zog der junge Mann sich hastig zurück. Ein würdiger älterer Herr sagte: »Du meine Güte, Sie haben wirklich eine scharfe Zunge.«
Sie senkte suggestiv die Lider. »Güte hat nichts damit zu tun.«
Mehr Gelächter. Sie sah sich um, um festzustellen, ob jemand Neues eingetroffen war.
Dann wurde sie starr vor Schreck. Lord Strathmore kam durch die Menge auf sie zu wie ein hungriger Leopard auf Beutefang.
Sie
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