Tanz des Lebens
verkrampften Hände von der Rücklehne des Schaukelstuhls löste. Sofort verstummten die alten, knarrenden Verandadielen unter ihnen und der heftig schwingende Schaukelstuhl kam ächzend zum Stehen.
»Es wird schon alles gut gehen«, flüsterte er ihr beruhigend zu. Faye wünschte, sie besäße nur die Hälfte von seinem Optimismus. Als zehn Minuten vergangen waren, setzte Luke sich aufrecht hin und lauschte in die Dunkelheit.
»Es ist soweit. Sie kommen. Machst du das Licht an?«
»Klar.« Erleichtert, etwas zu tun zu haben, wandte sie sich um und knipste den Lichtschalter neben der Tür an. Dabei hörte sie außer dem Zirpen der Zikaden nichts – absolut nichts. Aber sie vertraute auf den siebten Sinn ihres Bruders. Sein Gehör war besser als das eines Luchses. Als sie zu ihm zurückging, hörte auch sie das Geräusch eines herannahenden Autos.
Der Kies knirschte unter den Rädern, als sie die beleuchtete, steile Ausfahrt hochfuhren und kurz danach vor dem türkisen Haus hielten. Während Liam die Beifahrertür öffnete, stellte Quin den Motor ab und warf einen Blick durch die Windschutzscheibe auf die Veranda. Hinter einem Schaukelstuhl, in dem der blinde Junge saß, entdeckte er Faye. Die ausgewaschene Bluejeans und die beige, bestickte Folklorebluse standen ihr gut, fand Quin.
Gleichzeitig bemerkte er, dass sie ihre hellblaue Stickjacke fester um sich wickelte, als ob sie entsetzlich fröre. Er kannte sich in der Gefühlswelt von Mädchen nicht sehr gut aus, aber selbst ihm fiel der gequälte Ausdruck in ihrem Gesicht auf. Sie hat Angst, stellte er fest. Doch sie versuchte sie nicht zu zeigen. Das imponierte ihm irgendwie.
In seine Gedankengänge hinein gewahrte er Liam, der sich fürsorglich zu Luke vorbeugte, um ihn mit einem Handschlag zu begrüßen. Danach beobachtete er mit einem undurchdringlichen Blick, wie Luke sich umständlich aufrichtete und schüchtern auf Faye einsprach.
Ihr entzückendes Lächeln warf Quin in seinen Sitz zurück und mit zusammengepressten Lippen erinnerte er sich an die romantischen Gefühle seines Bruders für dieses so störrische und angstlose Mädchen, das so selbstlos um ihren Bruder kämpfte und ihn selbst bei jeder ihrer Begegnungen verwirrte.
Der Vollmond durchbrach das samtige Schwarz der Nacht und umhüllte die Umgebung mit seinem silbrigen Schleier. Das fahle Licht ließ keine anderen Farben zu, sodass der Wald vor ihnen surreal und mystisch wirkte. Sie hatten den Wagen am Rande des Seal-Rock-Waldgebietes geparkt, den restlichen Weg mussten sie zu Fuß gehen.
Schon nach wenigen Metern verdunkelten hohe Bäume den Himmel und ließen nur noch schwach das milchige Mondlicht durchschimmern. Es herrschte eine fast verzauberte Stille. Quin hatte sich sofort nach dem Aussteigen in Bewegung gesetzt und lief mit weit ausholenden Schritten schweigend voraus. Einmal wandte er sich kurz um, um zu sehen, ob alle ihm folgten; dabei streifte er Fayes Gesicht, in dem er einen Schatten von Angst und Sorge bemerkte.
Er war nicht der Einzige gewesen, der während der Autofahrt auffällig schweigsam gewesen war. Auch jetzt hörte er hinter sich nur seinen Bruder und Luke miteinander reden. Liam erklärte ihm anscheinend die Tanzzeremonie. Quin hörte nur mit einen halben Ohr hin, bis er Fayes leises Flüstern hinter sich vernahm.
»Vorsicht, Bodenwurzel auf elf Uhr.«
Erstaunt blickte er über seine Schulter und sah, dass Luke seinen klappbaren, mit einem Gummiband zusammengehaltenen Blindenstock gar nicht benutzte. Er steckte in der Seitentasche seiner Cargohose. Stattdessen hatte er sich bei seiner Schwester untergehakt und reagierte in Sekundenschnelle auf ihre geflüsterten Informationen, indem er einen Schritt in die andere Richtung machte, um einer aus dem Boden wachsenden Luftwurzel der riesigen Mammutbäume auszuweichen. Sie schienen ein eingespieltes Team zu sein.
»Warum sagt ihr nicht, wenn ich zu schnell bin?«, knurrte er.
»Oh, das ist schon in Ordnung«, informierte Faye ihn höflich. »Sollte mein Bruder über eine der gefühlten tausend Baumwurzeln, denen wir mittlerweile schon ausgewichen sind, hinfallen oder sich verletzten, wirst du es als Erster erfahren – und danach werden dir ein paar Zähne fehlen.« Die letzten Worte drangen leise, aber doch sehr verständlich an Quins Ohren.
Für einen Moment blieb ihm der Mund offen stehen, als er ihren aufgebracht blitzenden Augen begegnete, die an eine Explosion von Sternen erinnerten, oder
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