Tanz um Mitternacht
mich nach Hause«, bat sie.
Ein paar Sekunden lang starrte er sie nur an. Dann zuckte ein Muskel in seinem Kinn. »Meinst du das ernst? Bist du sicher?«
In ihren Augen brannten unerwartete Tränen. »Nein - ich bin mir nicht sicher. Nur eins weiß ich, es wäre am besten, wenn du mich sofort in die Stadt zurückbringen würdest. Bitte, Rand...«
Während er schweigend vor ihr stand, schien sich die Zeit dahinzuschleppen. Schließlich nahm er ihr Gesicht in beide Hände und hauchte einen Kuss auf ihre Lippen. »Also gut.«
Auf der Rückfahrt wechselten sie kein einziges Wort. Rands Hände, krampfhaft um die Zügel geklammert, verrieten seine innere Anspannung. Und in Caits Schläfen pochte ein heftiger Schmerz. Wäre sie bloß nicht mit ihm aufs Land gefahren... Niemals hätte sie ihm erlauben dürfen, sie zu küssen und so intim zu liebkosen. Nun musste sie die Gefühle vergessen, die er erregt hatte - und den Wunsch, er würde sie wieder umarmen, voller Verlangen.
6
Aufmerksam las Cait die Liste, die Geoffrey St. Anthony ihr soeben übergeben hatte. Darin standen die Namen seiner Freunde, die vielleicht bereit wären, die Forschungsreise des Professors mitzufinanzieren. Sie saß in einem gemütlichen kleinen Salon im Trent-Haus. Diesen schönen, in sanften Gelb- und Rosttönen gehaltenen Raum hatte der Gastgeber ihrem Vater als Arbeitszimmer zur Verfügung gestellt.
Hier studierten sie nun schon drei Tage lang Vorratslisten und Schiffsfahrpläne oder schrieben Briefe an Bekannte in Dakar. Rand ließ nichts mehr von sich hören, seit er sie nach dem Picknick vor dem Museum abgesetzt hatte. Wahrscheinlich erkannte er, dass sie nicht die leichte Beute war, für die er sie gehalten hatte, und suchte sein Vergnügen anderswo.
Und das ist gut so, dachte sie. Mit einem Mann wie Rand Clayton durfte sie sich nicht einlassen. Ein Mitglied des englischen Hochadels passte nicht zu einer bürgerlichen Amerikanerin. Außerdem war er an Frauen gewöhnt, die alle gesellschaftlichen Spielregeln befolgten. Und Caitlin hielt sich seit dem Tod der Mutter an ihre eigenen Gesetze. In diesen letzten Jahren hatte sie Orte besucht und Dinge gesehen, die einer englischen Aristokratin vermutlich die Sinne rauben würden.
Wie schockiert wäre Rand, wenn sie ihm die riesigen phallischen Symbole in Pompeji beschreiben würde - oder die zahlreichen Reliefs, die Männer und Frauen beim Liebesakt zeigten, in verschiedenen Positionen...
Bei ihrem Aufenthalt in der antiken Stadt war sie verwirrt gewesen und hatte nicht verstanden, was die Bilder und Skulpturen bedeuteten. Aber nach der Lektüre entsprechender Bücher wusste sie nun, was sie damals gesehen hatte, und die Erinnerung an jene Kunstwerke faszinierte sie immer noch.
Sie betrachtete ihre sommersprossigen Handrücken und dachte an die vielen hundert Stunden, die sie unter der tropischen Inselsonne auf Händen und Knien verbracht hatte. Vor ihrem geistigen Auge erschien Lady Hadleigh, und sie versuchte sich auszumalen, wie die schöne, elegante Dame oder eine andere von Rands unzähligen Liebhaberinnen in glühend heißem Erdreich wühlen würde.
Natürlich ließ sich Cait mit keiner der Frauen vergleichen, die Rand bisher gekannt hatte. Abgesehen von ein paar vergnüglichen Stunden im Bett konnte sie einem Mann wie dem Duke of Beldon nichts bieten. Ohne ihn bin ich besser dran, redete sie sich energisch ein. Trotzdem musste sie ständig an ihn denken.
»Nun, Miss Harmon, was meinen Sie?«
Verstört blickte sie auf. Geoffrey St. Anthony beugte sich über den Schreibtisch. Nur wenige Zoll trennten seinen blonden Kopf von ihrem rotgoldenen. »Tut mir Leid, Geoffrey... Was sagten Sie?«
»Habe ich Sie erschreckt?« Hastig trat er zurück, stolperte über die Kante eines Orientteppichs und stürzte beinahe. »Wie ungeschickt von mir...« Feuerrot im Gesicht, rückte er sein Jackett zurecht. »Das sind nur die Nerven... Normalerweise benehme ich mich nicht so albern.« Er schluckte krampfhaft. Dann holte er tief Luft. »Miss Harmon, ich dachte - das heißt, ich hatte gehofft, Ihr Vater und Sie würden mich morgen Abend vielleicht in die Oper begleiten. Falls Sie nichts anderes Vorhaben... Im King’s Theatre wird >Semiramide< aufgeführt, und die Inszenierung soll sehr gut sein.«
In diesem Moment betrat Caits Vater den Salon, sein Monokel in ein Auge geklemmt. »Die Oper...« Mit einem schmerzlichen Lächeln fuhr er fort: »Als Marian noch lebte, gingen wir sehr oft in die
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