Taubenkrieg
Shaking-Hand-With-Honecker-Fotografie. Er war nur etliche Jahre älter geworden. Oder vielleicht traf der Ausdruck »reifer« die Sache besser, denn alt wirkte Johann Kellerbach nicht, obwohl er inzwischen Mitte siebzig sein musste. Ein breites, aufrechtes Kreuz, an dieser Haltung konnte sich so mancher Teenager etwas abgucken. Das Haar taugte noch bestens für eine komplette |122| Frisur, und das Gesicht war zwar nicht faltenfrei, aber es steckte jede Menge Leben darin. Johann Kellerbach hätte das Zeug gehabt, ein richtig gutaussehender Mann im besten Alter zu sein – wenn er nicht eine so gnadenlos unsympathische Miene aufgesetzt hätte.
»Herr Jolters und Herr Bellhorn, so wurde mir angekündigt«, eröffnete er das Gespräch, ohne auch nur den Hauch einer Begrüßungsgeste anzudeuten. Er gab halt nicht jedem die Hand. »Wie in der Zeitung zu lesen war, gab es gestern in der Nähe vom Schloss einen erneuten Überfall?«
Boris nickte. »Das Opfer liegt mit Kopfverletzungen im Krankenhaus. Seine Aussage deckt sich mit denen der Augenzeugen, dass es sich bei den Tätern um die
G-Point -Gangster
gehandelt hat.«
»Genau wie bei meinem Sohn!«
»Wir haben in dieser Angelegenheit leider noch keine weiteren Erkenntnisse«, musste Jolters zugeben. »Aber der Zusammenhang zwischen beiden Taten ist naheliegend.«
»Sagen Sie es doch gleich: Sie sind hoffnungslos überfordert, oder nicht?« Kellerbach betrachtete sie beide mit einer Mischung aus Wut und Mitleid. »Wir kriegen die Misere in Schwerin so nicht in den Griff.«
»Wen meinen Sie mit
wir
?«, fragte Boris.
Jolters mischte sich ein, in seinem Blick konnte Boris so etwas wie verstecktes Missfallen erkennen. »Herr Kellerbach engagiert sich schon seit einigen Jahren für die Gründung einer Bürgerwehr …«
»Damit will ich Ihnen und Ihrer Truppe ja gar keinen Vorwurf machen. Wie Sie wissen, ist selbst mein geschätzter Freund Oberstaatsanwalt Gauly ein prominenter Unterstützer dieser Idee. Bei einem solchen Aufgebot an krimineller Energie in unserem Land muss auch der Bürger aufgefordert sein, für Recht und Ordnung zu sorgen.«
|123| So war das also, Kellerbach entpuppte sich als Populist, wahrscheinlich als einer von der Sorte, der, wenn auch nicht dem Sozialismus, so aber doch den alten, bestens kontrollierten DD R-Zeiten hinterhertrauerte.
»Ich bezweifle, dass Ihr Verein …«, setzte Jolters an.
»ASMV ist kein Verein, sondern ein Aktionsbündnis«, korrigierte Kellerbach. »Aktion Sicheres Mecklenburg-Vorpommern.«
»Nun, ich glaube dennoch nicht, dass Ihre Interessensgruppe diesen tragischen Mordfall hätte verhindern können.«
»Verhindern nicht. Aber wenn die Mitmenschen aktiver dazu aufgefordert würden, ihre Augen offen zu halten und durch aufmerksames Beobachten ihres Umfeldes bei der Verbrechensbekämpfung mitzuwirken, dann wären wir jetzt bestimmt schon ein paar Schritte weiter.« Oder ein paar Jahrzehnte zurück, dachte Boris, verkniff sich aber die Anspielung auf solche Stasimethoden.
»Meine lieben Herren Polizisten, ich hatte ernsthaft angenommen, Sie kämen, um mir Neuigkeiten mitzuteilen, was den Mord an meinem Sohn angeht.« Kellerbach machte ein säuerliches Gesicht. »Stattdessen haben Sie anscheinend bloß wieder neue Fragen.«
Das stimmte. Boris hatte seine neuen Vorgesetzten vom LKA Schwerin darum gebeten, ein Treffen mit der Familie zu arrangieren, damit er sich ein eigenes und möglichst umfangreiches Bild machen konnte. Er war schließlich hier, um sein Wissen als Rocker-Experte zur Verfügung zu stellen, und eine seiner fundamentalsten Thesen besagte, dass der Grund für einen Beitritt in einen Männerbund in den allermeisten Fällen in der Ursprungsfamilie zu suchen ist. Entweder gab es dort zu wenig Strukturen, zu wenig Autorität und Grenzen – oder zu viel. Im Fall Kellerbach tippte er spontan auf Letzteres.
Da der Senior keine Anstalten machte, den Besuchern die |124| antiken Sitzmöbel anzubieten, blieben sie alle drei recht verloren auf dem Fischgrät-Parkett stehen. Boris war wild entschlossen, sich davon nicht wieder verunsichern zu lassen.
»Es geht um die Kontakte, die Ihr Sohn außerhalb des Rockerclubs hatte«, begann er. »Die Ermittlungen konzentrieren sich zwar in diese Richtung, aber wir wollen nichts übersehen.«
»Mein Sohn hatte eine Kanzlei in der Schelfstadt, wie Sie sicher wissen. Dort arbeiten neben seiner Schwester Nikola noch drei junge Frauen als Anwaltsgehilfinnen. Mit denen
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