Tausend Worte der Liebe
vorwiegend um die Mietobjekte und um Shays Pläne. Mitch beteiligte sich kaum am Gespräch, aber die Art, wie er Shay ansah, drückte seine Achtung für ihre Ideen aus. Ivys Begeisterung kannte keine Grenzen. Auf Anhieb fielen ihr Leute ein, die sich für einen kleinen Laden interessieren würden.
Nach dem Essen brachen Ivy und Todd auf, sie konnten sich gar nicht schnell genug verabschieden.
»Hab’ ich etwas Dummes gesagt?«, fragte Shay erstaunt.
Mitch lachte verschmitzt. »Sei nicht naiv«, sagte er nur. Während er ganz selbstverständlich Kaffee aufgoss, machte Shay sich’s in der Couchecke bequem mit dem ersten Teil des Manuskripts. Sie war auf ein fast unleserliches Durcheinander vorbereitet gewesen, mit Verbesserungen, Fußnoten und ähnlichem. Aber Mitchs Seiten waren bemerkenswert sauber geschrieben, und sein Stil fesselte sie sofort. Sie las das Manuskript, als wäre die darin handelnde Person eine völlig Fremde und nicht Rosamond Dallas, ihre Mutter.
Mitch stellte eine Tasse heißen Kaffee vor Shay auf den Tisch, was sie aber gar nicht beachtete. Sie war fasziniert und lernte Rosamond von einer Seite kennen, die ihr bislang verborgen geblieben war.
Als Shay sich durch fast einhundertfünfzig Seiten gelesen hatte, war ihr Kaffee kalt, aber ihre Meinung von Rosamond – und besonders von Mitch – hatte sich in vielem grundlegend geändert. »Wow«, sagte sie schließlich.
Mitch wechselte die Tasse aus. »Du bist also einverstanden?«
»Das weiß ich eigentlich noch nicht. Jedenfalls bin ich beeindruckt. Du schreibst gut, Mitch, sehr gut. Es ist für mich ein Rätsel, wie du aus den paar Unterhaltungen mit mir, den Bildern und den Briefen so viel über Rosamond wissen kannst.«
Mitch nahm in einem Sessel neben der Couch Platz. »Ich habe umfangreiche Nachforschungen angestellt, Shay. Besonders hervorzuheben wäre, dass ich mich mit allen sechs Exmännern deiner Mutter telefonisch unterhalten konnte. Und deiner Großmutter …«
»Meine Großmutter?« Shay sah ihn verblüfft an. »Ich hab’ gar keine Großmutter.«
Mitch nippte an seinem Kaffee und entgegnete ruhig: »Doch, Shay, du hast eine.«
Shay legte das Manuskript beiseite. Sie war sprachlos, und sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. »Warum hast du …«
Mitch setzte die Tasse ab und hob abwehrend die Hände. »Erst vor ein paar Stunden habe ich das erfahren. Nachdem ich dich hier abgesetzt hatte, genauer gesagt. Einer meiner Leute, die für mich in der Vergangenheit deiner Mutter graben, hat sie gefunden und ihren Namen plus Adresse und Telefonnummer beim Antwortdienst hinterlassen.«
Shay schluckte: »Hast du sie angerufen?«
»Ja. Sie heißt Alice Bretton und wohnt in Springfield, Missouri. Dein Vater …«
»Ihr Sohn also …« Shays Stimme zitterte.
»Es war ihr Sohn. Leider lebt er nicht mehr. Er ist als Pilot 1970 über Hanoi abgeschossen worden.« Mitch setzte sich neben Shay und legte den Arm um sie.
»Weiß man das genau? Es werden so viele Piloten für tot erklärt, und dann stellt sich heraus, dass sie doch in Gefangenschaft geraten sind.«
»Er ist gefallen, Shay. Man konnte ihn identifizieren.«
Shay fühlte sich verletzt, hintergangen … Sie hätte weinen mögen. »Ich habe nie von ihm gehört. Rosamond wollte mir nicht einmal seinen Namen nennen.«
»Robert Bretton.«
»Erzähl mir von ihm, bitte!«
Mitch seufzte. »Die ganze Geschichte kenne ich noch nicht. Jedenfalls ‚ging‘ er mit Rosamond, wie man damals so schön sagte. Sie entzweiten sich, und Rosamond kaufte eine Fahrkarte nach Hollywood. Robert beendete sein Studium und trat in die Armee ein. So hat es mir wenigstens Mrs Bretton erzählt.«
Shay war ganz durcheinander. Plötzlich erfuhr sie entscheidende Dinge über ihr Leben, die Rosamond ihr vorenthalten hatte. Erst absichtlich und später dann, weil sie krank wurde. »Ich würde gern mehr wissen …«
»Warum nimmst du die Verbindung zu deiner Großmutter nicht einfach auf? Von ihr würdest du viel mehr erfahren können als von mir.«
»Vielleicht möchte sie gar nichts mit uns zu tun haben.«
Mitch schüttelte den Kopf. »Sie hat tausend Fragen gestellt, nach dir, Shay, und nach Hank.« Mitch schüttelte Shay sanft. Um sie aufzuheitern, fügte er hinzu: »Natürlich wollte ich ihr nicht sagen, wie gut du schmeckst, nachdem man dich mit Zucker begossen hat.«
Shay lachte – oder weinte, das war nicht einmal ihr selbst ganz klar. Sie schob Mitch ein wenig beiseite und lehnte dann
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