Tausendundeine Stunde
beschnuppert und ihn somit akzeptiert. Danach rollte er sich zusammen und lugte nur hin und wieder mit einem Auge, um zu kontrollieren, ob wir noch da waren.
„Hättest du Lust auf einen Punsch?“
Er verneinte und fragte, wo mein Bad sei. Ich führte ihn hin, lief rasch ins Wohnzimmer, zündete einige Kerzen an und legte eine CD von Pink Floyd ein. Draußen wirbelten Schneeflocken, getrieben vom Wind, wild und orientierungslos umher.
Ich schmunzelte: In eben diesem Moment kam ich mir vor, wie eine dieser Schneeflocken. Ich ließ mich treiben, nicht wissend, wohin es mich führen wird und nur von dem einem Gedanken beseelt, nämlich jede Minute mit diesem mir unbekannten und doch so nahe stehenden Mann auszukosten.
„Ich bin im Wohnzimmer“, rief ich ihm zu.
Er lehnte sich an den Pfosten der Tür. Ich lächelte ihn an.
Er erwiderte es. Es war ein verschmitztes Lächeln, jungenhaft, eines ohne Hintergedanken. Plötzlich war der Raum erfüllt von Magie. Jenem Zauber, dem man wahrscheinlich nur einmal im Leben begegnet. Ich lief auf ihn zu, griff nach seiner Hand. Fest war sie und bestimmt. Ich schaute zu ihm hoch und fühlte unbändiges Verlangen, seine Lippen zu schmecken. Ich stellte mich auf meine Zehenspitzen, er beugte seinen Kopf. Wir küssten uns. „So also muss sich ein Kuss anfühlen“, dachte ich. Dann fuhr seine Hand über meinen Schenkel. Dort verweilte er mit Ausdauer. Als suche er einen Reißverschluss, den es aufzureißen galt. Er streichelte mein Gesicht. Ich knöpfte sein Hemd auf. Er roch nach Sünde. Ich streifte meine Kleidung ab.
„Du bist schön“, sagte er mit einem hintergründigen Lächeln.
„Was ist? Ist irgendetwas an mir nicht in Ordnung?“, fragte ich verunsichert.
„An dir ist alles in bester Ordnung.“ Er schüttelte dabei mit dem Kopf: „Es war also das Gummiband deines Strumpfes. Ich dachte, du würdest diese Liebestöter tragen.“
„Aha und ich dachte, du bist ein Altertumsforscher und hältst dich aus diesem Grund so unnötig lange an meinem Schenkel auf.“
Florian lachte erheitert. „Ich bin Doktor der HF-Elektronik. Komm her.“
Ich schlang meine Arme um seinen Hals. Ich wollte ihn nicht mehr loslassen. Wir versanken ineinander, tänzelnde Libellen. Anmut und Begierde. Lovesong und Rock n Roll.
Als ich aus dem Bad zurückkam, hatte er sich angezogen, küsste mich auf die Stirn und verabschiedete sich.
Bevor er in sein Auto stieg, schaute er kurz zu meinem Fenster hoch. Ich erschrak, ich wollte nicht, dass er mich sah. Nun wusste er, dass ich ihm nachschaute. Mit dieser Geste hatte ich ihm Interesse signalisiert. Warum war er gegangen? Hatte ich es verdorben? Wenn es eine Expertin für solche Fragen in meinem Freundeskreis gab, dann war es Doris. Ich rief sie an. Aber anstatt mich aufzubauen nährte sie meine Zweifel. Florian war ein One-Night-Stand. In meinem Schlafzimmer schwebte der Duft seines Parfüms. Ich verkroch mich in meine Kissen und weinte mich in den Schlaf.
Als ich am nächsten Tag von der Arbeit kam, fand ich eine Rose vor meiner Tür und einen Zettel. „Heute Abend, neunzehn Uhr?“ stand darauf. Mein Herz hüpfte. Mir blieben etwas weniger als drei Stunden, um ein erstklassiges Menü vorzubereiten, mir eine Maske aufzulegen, um die Spuren der verheulten Nacht wettzumachen und den Kleiderschrank nach dem ultimativen Kleidungsstück zu durchforsten. Außerdem musste ich Doris anrufen. Es war mir ein Bedürfnis ihr triumphierend mitzuteilen, dass sie ihre Beziehungsbücher ins Altpapier entsorgen könnte.
Florian war pünktlich zur Stelle und, wie am Abend zuvor, erfasste uns dieser magische Zauber, von einer unbeschreiblichen Heftigkeit, die die Erde zum Erbeben brachte.
„Was hältst du davon“, sprach er, als ich ermattet in seinen Armen lag, „wenn ich dich am kommenden Samstag meiner Familie vorstelle? Mein Urlaub ist bald vorbei. Den Montag darauf muss ich wieder los.“
Das ging mir definitiv zu schnell. „Das geht nicht. Nein, das geht auf gar keinen Fall.“
Er runzelte die Stirn.
„Da habe ich Geburtstag. Ich muss meine Familie einladen und meine Freundinnen. Und damit du es gleich weißt, am Ende der Zahl steht ein „zig“.
„Was, du bist schon sechzig. Alle Achtung, da hast du dich aber gut gehalten.“
Ich schlug ihn mit dem Kopfkissen.
„Ja, mehr“, schrie er. „Schlag mich, schlag mich.“
Dann griff er nach mir: „Komm her, du Biest, lass dich erforschen.“
Zwei Stunden später, beim Duschen,
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