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Taxi

Titel: Taxi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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Einkaufsstraße.«
    Nein, nein, nein, dachte ich, dies ist der Jungfernstieg, und Hamburgs teuerste Einkaufsstraße ist ja wohl immer noch der Neue Wall. Jetzt zeigte er auf die Binnenalster.
    »Das ist die Außenalster. Hier wird bei schönem Wetter viel gesegelt.«
    So ging es die ganze Zeit weiter. Quak quak quak quak quak. Ihm zuzuhören war eine Folter für den Verstand. Aber Ehefrau und Schwiegermutter saugten seine katastrophalen Fehlinformationen begierig auf, und die Tochter sah ihn bewundernd an. Drei Frauen hatte der Blödmann hinter sich sitzen. Drei Frauen! Kaum zu fassen. In einer Orang-Utan-Horde hätte man einen solchen Versager nicht mal in die Nähe der Weibchen gelassen. Das Gesellschaftssystem der intelligenten Raubaffen sorgte sehr gut für seine unfähigen Männchen. Kein Wunder, dass sie sich mit Veränderungen in diesem System schwer taten.
    Als die Familie an den Landungsbrücken ausstieg, schob sich die Sonne noch einmal hinter den Regenwolken hervor und verschoss gelbe Lichtpfeile. Es war kurz vor acht. Also fuhr ich zum Pferdemarkt rüber und bog in die Schanzenstraße. Ich fand einen engen Parkplatz zwischen zwei Autos, die die Nummernschilder meines Taxis verdeckten. Das Funkwappen zog ich aus der Halterung und legte es flach auf die Hutablage.
    Marcos Wohnung bestand aus einem engen Flur und zwei richtig großen Zimmern, die sehr modern aussahen. Vielleicht lag das aber auch bloß daran, dass sie fast leer waren. In dem einen Zimmer gab es eine große Futonmatratze auf einem niedrigen Bettgestell, eine Musikanlage, einen riesigen Fernseher und drei fußballgroße beleuchtete Glaskugeln auf dem grauen Teppichboden. Das hatten bestimmt alles seine Eltern bezahlt. In dem anderen Zimmer war ein nierenförmiger Schreibtisch mit Stuhl. Alles normal große Möbel. Die Bücher standen in einem alten Apothekenschrank aus weiß emailliertem Blech. Während Marco in der Küche Tee kochte, versuchte ich, die Tür des Apothekenschranks zu öffnen. Sie war abgeschlossen, und ein Schlüssel steckte auch nicht. Ich las die Autorennamen auf den Rücken der Bücher, die direkt hinter der Glasscheibe standen. Das meiste war von Nietzsche und Kant, außerdem Thomas von Aquin, Descartes und Schopenhauer. Sogar Weininger war dabei. Ich legte mein Gesicht seitlich an die Scheibe, um die Autorennamen und Titel jener Bücher lesen zu können, die Marco weiter außen versteckt hatte: Alfred Adler, Alfred Adler, Alfred Adler. Lebensprobleme , Menschenkenntnis und Studie über die Minderwertigkeit der Organe . Auch auf dem aufgeräumten Schreibtisch lag ein Buch von Adler. Über den nervösen Charakter . Es war mit einer Zeitschrift zugedeckt, mit dem Spiegel . Ich ging in die Küche und sah zu, wie Marco auf einen Holzschemel stieg, um die Teetassen aus dem Schrank zu holen. Er hatte ein weißes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln an. Seine Arme waren wirklich sehr kurz. Erinnerten mich an Flossen. Er schleppte ein silbernes Tablett ins Fernsehzimmer hinüber, stellte es auf den Boden und wir hockten uns in einer Art Schneidersitz auf den Teppich. Marco nahm das Teenetz aus der Kanne, wrang es aus und legte es in eine Glasschale. Seine Unterarme waren ebenfalls voller Sommersprossen.
    »Ganz schön viel Alfred Adler im Schrank«, sagte ich, während er uns einschenkte. Marco goss etwas Tee neben seine Tasse, fing sich wieder und sagte ruhig:
    »Der Minderwertigkeitskomplex. Ich werde vielleicht einmal meine Dissertation darüber schreiben. Bietet sich doch an für einen Kleinwüchsigen – findest du nicht?«
    Er legte eine Schallplatte auf, die ich nicht kannte, – David Sylvian, erklärte Marco – und wir tranken den Tee. Ich mochte die Musik, und ich mochte auch Marco. Man merkte, dass er eine Menge Bücher gelesen hatte, aber er legte es nicht darauf an, es einem ständig unter die Nase zu reiben. Im Sitzen war er fast genauso groß wie ich. Irgendwann tat mir der Rücken weh, und ich fing an, mich seitlich abzustützen. Marco ging es genauso. Jedes Mal, nachdem er aufgestanden war, um die Schallplatte umzudrehen oder eine neue aufzulegen, gerieten wir etwas mehr in Schieflage. Schließlich lagen wir einander gegenüber und stützten bloß noch unsere Köpfe auf die Handflächen. Sogar auf den Lippen hatte Marco ein paar Sommersprossen. Die letzte Schallplatte, diesmal von Connie Francis, war längst durchgelaufen.
    »Hast du gestern diesen bärtigen Physiker im Fernsehen gesehen?«, fragte Marco. »Ach nein,

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