Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Teckla

Teckla

Titel: Teckla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Brust
Vom Netzwerk:
Seelen« nennen, weil sie nicht sonderlich erfinderisch sind. Warum sie dort wartet? Sie kann nicht anders. Irgendwas an diesem Ort zieht an der dragaeranischen Seele.
    Und was ist mit Ostländern? Tja, da sieht es ziemlich genauso aus, soweit ich weiß. Wenn es um die Seele geht, gibt es zwischen einem Dragaeraner und einem Ostländer nicht so große Unterschiede. Wir dürfen nicht auf die Pfade der Toten, aber Morgantiwaffen haben auf uns die gleiche Wirkung, und wir können mit jedem Gott eine Übereinkunft treffen, dem es beliebt, und wenn sonst nichts passiert, werden wir vermutlich auch reinkarniert, jedenfalls behauptet man, daß dies der Dichter-Seher aus dem Ostreich, Yain Tscho Lin, gesagt hat. Es ist sogar gemäß dem Buch der sieben Zaubermeister so, daß der Gleiter der Wartenden Seelen auch an uns zieht, während wir warten, genau wie bei den Dragaeranern.
    Allerdings steht in dem Buch, daß er nicht ganz so kräftig zieht. Warum? Wegen der Bevölkerungszahl. Es gibt mehr Ostländer auf der Welt, also gibt es weniger Seelen, die warten, also gibt es weniger Seelen, die den anderen beim Rufen helfen. Klingt das logisch? Für mich auch nicht, aber so ist es.
    Eine Folge dieser schwächeren Rufe ist manchmal, daß die Seele eines Ostländers weder reinkarniert wird noch zum Gleiter der Wartenden Seelen kommt. Statt dessen wird sie, nun ja, irgendwie so herumhängen.
    So steht es wenigstens geschrieben. Glaubt es oder nicht, wie ihr wollt.
    Ich persönlich glaube es.
    Ich sah einen Geist.
     
     
    Ich starrte ihn an. Anscheinend ist Starren das erste, was einem beim Anblick eines Geistes einfällt. Was danach kommen sollte, wußte ich noch nicht. Den Geschichten zufolge, die mein Großvater mir erzählt hatte, als ich klein war, stand Kreischen auf der Rangliste ganz weit oben. Aber wenn ich kreischte, würde ich das ganze Haus aufwecken, und da ich sie umbringen wollte, mußten sie weiterschlafen. Außerdem war mir gar nicht danach. Ich weiß, ich hätte eigentlich Angst haben müssen, aber unterm Strich war ich eher fasziniert als ängstlich.
    Der Geist nahm weiter Gestalt an. Er leuchtete ein wenig, deshalb konnte ich ihn auch sehen. Er strahlte ein ganz schwaches blaues Glühen aus. Allmählich konnte ich seine Gesichtszüge erkennen. Bald merkte ich, daß es ein Ostländer war, dann, daß es ein Mann war. Er schien mich anzuschauen – das heißt, er konnte mich offenbar sehen. Weil ich nicht alle aufwecken wollte, verließ ich das Zimmer und ging zurück in Kellys Arbeitszimmer. Dort machte ich wieder Licht, fand den Weg an den Schreibtisch und setzte mich. Keine Ahnung, woher ich wußte, daß der Geist mir folgen würde, aber ich tat es und er auch.
    Ich räusperte mich. »Nun«, sagte ich. »Du bist wohl Franz.«
    »Ja«, antwortete der Geist. Darf ich sagen, daß er mit einer Grabesstimme sprach? Ach, egal. So war es.
    »Ich bin Vladimir Taltos – Cawtis Ehemann.«
    Der Geist – nein, ich nenne ihn lieber einfach Franz. Franz nickte. »Was tust du hier?« Während er sprach, wurde er immer sichtbarer und seine Stimme normaler.
    »Nun«, sagte ich. »Das ist etwas schwer zu erklären. Was machst du denn hier?«
    Er zog die Augenbrauen (die ich mittlerweile erkennen konnte) zusammen. »Ich weiß nicht recht«, sagte er. Ich betrachtete ihn. Dünnes, glattes Haar, sauber gescheitelt. Wie kämmt sich ein Geist die Haare? Sein Gesicht war angenehm, aber ohne besondere Merkmale, sein Verhalten so ehrenhaft und offen, wie ich es von Gewürzhändlern und toten Lyorn kenne. Irgendwie stand er eigenartig, als wäre er ein kleines bißchen vorgebeugt, und beim Sprechen neigte er den Kopf ganz leicht zur Seite. Ich fragte mich, ob er schwerhörig war oder nur begierig, jedes gesprochene Wort zu verstehen. Anscheinend war er ein sehr aufmerksamer Zuhörer. Überhaupt war er wohl sehr aufmerksam. Er sagte: »Ich habe draußen vor der Versammlungshalle gestanden –«
    »Ja. Du bist ermordet worden.«
    »Ermordet!«
    Ich nickte.
    Er starrte mich an, dann schaute er an sich selbst herunter und schloß einen Moment die Augen. Schließlich fragte er: »Ich bin jetzt tot? Ein Geist?«
    »So was in der Art. An sich müßtest du auf die Reinkarnation warten, wenn ich diese Sachen richtig verstanden habe. Sieht so aus, als wären gerade keine schwangeren Ostländerinnen in der Nähe, die ins Bild passen. Hab Geduld.«
    Er betrachtete mich, taxierte mich.
    »Du bist Cawtis Ehemann.«
    »Ja.«
    »Du sagst, ich wurde

Weitere Kostenlose Bücher