Tempel der Träume - Der Roman (German Edition)
stets in ihrem Leben. Umso mehr erschütterte es sie, dass sie nun zu einem Gespräch mit dem Chef gerufen wurde. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Ausgerechnet heute.
Sie kramte in ihren Erinnerungen, ob sie sich etwas hatte zuschulden kommen lassen, aber ihr fiel nichts Schwerwiegendes ein. Doch das musste nichts heißen. Ihr war schon wieder etwas übel, so dass ihr das Denken schwerfiel.
Unruhig lief sie den Gang entlang in die hinteren Räume der ersten Etage, wo die Zimmer des Managements und des Geschäftsführers lagen. Unten tobte noch immer die Veranstaltung. Die zweite Runde des Wettbewerbs war vorüber, jetzt ertönte Tanzmusik durch die Anlage. Sie durfte dem Alten nichts zeigen, sich nicht anmerken lassen, wie es um sie bestellt war.
Als sie an der Tür von Aaron Logan angekommen war, klopfte sie kurz, dann trat sie ein.
Er saß an seinem Schreibtisch und las eine Nachricht in seinem Smartphone. Als Myrtel eintrat, blickte er auf und legte das Gerät zur Seite.
„Sie wollten mich sprechen?“, fragte Myrtel und zog erwartungsvoll die Augenbrauen nach oben.
„Jemand hat sich beschwert, dass Sie den Modelwettbewerb beeinflusst und eine Kandidatin bevorzugt behandelt hätten. Ist das wahr?“
Myrtel schüttelte den Kopf. „Das ist so nicht wahr. Einem der Mädchen wurde das Shirt zerschnitten, da habe ich ihr gestattet, mit ihrer Freundin die Kleidung zu tauschen. Das war alles.“
„Die Freundin soll in den Umkleideraum gekommen sein, obwohl das nicht erlaubt ist. Stimmt das?“
„Ja, das ist wahr. Sie ließ sich nicht aufhalten. Ich verstehe aber sowieso nicht, wieso sie nicht kommen durfte, sie wollte doch nur...“
Aaron Logan ließ sie nicht aussprechen. „Es war schwierig genug, fünfzig geeignete Mädchen aus den Bewerberinnen auszusuchen. Ich will nicht, dass sich einige heimlich einschleichen und daran teilnehmen, ohne die Gebühr von hundert Euro bezahlt zu haben.“
„Aber ihre Freundin wollte nicht mitmachen. Deshalb dachte ich, ist es nicht so schlimm, wenn sie in die Umkleide kommt.“
„Bitte denken Sie nicht, Myrtel. Halten Sie sich an die Anweisungen.“
Myrtel wurde auf einmal sehr, sehr schlecht. Sie musste sich konzentrieren, um sich nicht sofort auf den Schreibtisch übergeben zu müssen.
„Ja, mache ich“, krächzte sie und schluckte hart.
Ihr Chef zog die Stirn kraus. „Sind Sie krank?“
Myrtel schüttelte energisch den Kopf, was den Schwindel leider verstärkte. Sie durfte ihm nicht zeigen, dass sie krank war. Dann würde sie sofort ihren Job verlieren. In einem Gesundheits- und Wellnessclub hatten Krankheiten nichts zu suchen, das stand sogar in den Statuten und in ihrem Arbeitsvertrag.
„Ich habe etwas Verdorbenes gegessen heute, mein Mann hat vergessen, das Essen in den Kühlschrank zu räumen. Ist gleich wieder in Ordnung.“
Sie kämpfte weiter tapfer gegen die Übelkeit an, dachte an schöne Momente, um sich abzulenken. Ein Strand in Neuseeland, an dem sie nach der Schule mit ihrer besten Freundin einmal Urlaub gemacht hatte. Das war die schönste Zeit ihres Lebens gewesen, die Eltern noch gesund, sie voller Vorfreude auf das Leben.
Der Gedanke half.
„Gehen Sie zurück zu den Models, aber keine Bevorzugung mehr“, knurrte Aaron Logan. „Die Kandidatin, die das gemeldet hat, wird auch weiterhin ein Auge auf Sie haben. Also passen Sie auf.“
Sie nickte. Die Übelkeit schwand. „Verstehe.“
Er holte erneut das Smartphone aus der Tasche. Ein Zeichen, dass sie entlassen war.
Myrtel lief erleichtert den Gang zurück zu den Kandidatinnen in der improvisierten Umkleide. Doch sie schaffte es nicht ganz bis dahin, denn mit einem Schlag kam die Übelkeit mit aller Macht zurück. Hastig eilte sie in die Toilette neben der Treppe, riss die Tür einer der leeren Kabinen auf und übergab sich. Dann saß sie für einen Augenblick auf dem Boden neben der Toilettenschüssel, zu kraftlos, um ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Tränen liefen über ihr Gesicht. Für diesen Moment gestattete sie ihnen, einfach zu rinnen. Dann wischte sie sie weg und stand auf. Sie musste noch den Rest des Abends durchhalten.
***
Kiara zog ihr rotes Top schnell wieder über, als die zweite Runde vorüber und die Mädchen zurück in ihrer Umkleide waren, während Samira verzweifelt in ihrer Tasche kramte. „Ich weiß, dass ich ihn mitgenommen habe, er muss hier sein!“
„Vielleicht ist er unterwegs rausgefallen?“, fragte Kiara vorsichtig.
„Das ist
Weitere Kostenlose Bücher