Temptation: Weil du mich verführst
Kurven manövrierte und über die Landschaft bretterte, musste er sich ein Lachen verbeißen. Weshalb sollte es eine Rolle spielen, dass er derjenige gewesen war, der sie auf etwas gestoßen hatte, das ihr sichtlich Freude bereitete? Wichtig war nur, dass sie es gefunden hatte … dass sie eine neue Facette ihrer zweifellos aus zahlreichen Talenten und wunderbaren Eigenschaften bestehenden Persönlichkeit entdeckt und ans Tageslicht befördert hatte.
Er sah zu ihr hinüber, als sie gegen Abend über den Lake Shore Drive wieder in die Stadt zurückkehrten. Sie hob den Daumen, und er konnte sich vorstellen, wie sie hinter dem schwarzen Visier grinste. Aus irgendeinem Grund ließ das Motorrad ihre natürliche Kraft, ihre Vitalität und Lebensenergie noch deutlicher hervortreten …
… ganz abgesehen von ihrem grandiosen Arsch in den hautengen Jeans, den er am liebsten in sein Penthouse zerren würde, wann immer er ihn vor sich sah – was so ziemlich die ganze Zeit über der Fall war.
Er gab ihr ein Zeichen, in eine Parkgarage in der Nähe des Millennium Park einzubiegen. Wenige Minuten später schlenderten sie die Monroe Street zwischen dem Art Institute und dem Millennium Park entlang. Die Wolken hatten sich verzogen, und es versprach, ein angenehmer, frischer Herbstabend zu werden.
»Wohin gehen wir?«, fragte sie, übers ganze Gesicht strahlend. Eine rotgoldene Strähne streifte ihre Wange. Er strich sie ihr aus dem Gesicht und nahm ihre Hand.
»Ich dachte, ich führe dich zum Essen aus.«
»Tolle Idee.« Die Begeisterung verlieh ihrer Stimme eine hinreißende Atemlosigkeit, sodass er Mühe hatte, den Blick von ihrem windzerzausten, bildschönen Gesicht zu lösen.
»Du bist ein toller Motorradfahrer«, schwärmte sie. »Es sieht so aus, als wärst du auf dem Motorradsattel geboren. Wie alt warst du, als du das erste Mal auf einer Maschine gesessen hast?«
Er kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Elf, glaube ich.«
»So jung!«
Er nickte. »Als meine Großeltern mich aus Frankreich nach England geholt hatten, fiel es mir anfangs schwer, mich anzupassen. Es war eine völlig neue Welt für mich, ein Leben, das ich so nie kennengelernt hatte. Noch dazu ohne meine Mutter«, erklärte er, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst. »Ich habe einen Cousin, Gerard, der ein gutes Stück älter ist als ich, deshalb habe ich immer Onkel zu ihm gesagt. Er hat eines Tages herausgefunden, dass ich alles mag, was mit Motoren zu tun hat. In der Garage seines Hauses, das an das Anwesen meines Großvaters grenzt, habe ich ein altes, kaputtes Motorrad entdeckt und ihn angebettelt, es reparieren zu dürfen. Das war der Beginn meiner Leidenschaft für Motorräder. Mein Großvater hat auch geholfen, und so habe ich eine Beziehung zu ihm und Onkel Gerard aufgebaut.«
»Und du bist allmählich aus deinem Schneckenhaus herausgekommen«, folgerte Francesca und sah ihn an.
»Ja. Ein bisschen.«
Musik wehte durch die kühle, klare Luft heran, als sie die Michigan Avenue erreichten. Ian bemerkte eine Menschenansammlung.
»Ach ja, die Naked Thieves spielen ja heute Abend im Millennium Park. Caden und Justin müssen irgendwo in der Menge sein«, meinte Francesca.
»Die Naked Thieves?«
Sie sah ihn fassungslos an. »Die Rockband?«
Er zuckte die Achseln. Offen gestanden, kam er sich ein wenig dumm vor, wollte es sich jedoch nicht anmerken lassen. Nach Francescas Miene zu schließen, sollte ihm der Name definitiv etwas sagen. Sein Blick hing an ihren vollen rosigen Lippen, und seine Verlegenheit verflog.
»Wie kannst du die Naked Thieves nicht kennen? Sie sind absolute Topstars, aber es ist ja …« Sie schüttelte den Kopf. Traurigkeit und Ungläubigkeit schwangen in ihrem Lachen mit. »Es ist, als wärst du im Anzug und mit der Aktentasche unterm Arm aus dem Mutterleib gekommen.«
Ihre Worte schmerzten ein wenig. Ausgerechnet er, der sich nichts sehnlicher als eine normale Kindheit mit allem Drum und Dran gewünscht hätte – scheinbar endlose, unbeschwerte Sommernachmittage, rebellische Teenagerjahre gegen überfürsorgliche Eltern, die er behandelte, als könnte er sie auf den Tod nicht ausstehen, obwohl er sie in Wahrheit heiß und innig liebte, weil sie ihm die Gewissheit gaben, dass sie immer für ihn da sein würden … und die Gelegenheit, mit einem tollen Mädchen wie Francesca ein Rockkonzert zu besuchen.
»Was tust du da?«, fragte Francesca, als er sein Handy aus der Tasche zog.
»Ich rufe Lin an.
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