Terra Madre
des Unterkunftsproblems, dessen war ich mir sicher, würden mir die zivilen und religiösen Institutionen meiner Heimat, des Piemonts, vor allem die Piemonteser Bauern, gern helfen. Die angereisten Bauern zu zwingen, in großen Hotelkästen zu schlafen, sie zu behandeln, als wären sie normale Kongressteilnehmer, wäre sinnlos gewesen. Diese einfachen, würdevollen Leute können sich anpassen, doch sie sind vielleicht noch nie gereist und würden sich in einem anonymen Hotelzimmer wohl eher unbehaglich fühlen. Außerdem war ich mir sicher, dass sie vor allem daran interessiert waren, die Landwirtschaft und die Bauern des besuchten Ortes kennenzulernen.
Wir nutzten also das Netzwerk der Journalisten des Slow-Food-Preises, des aus mehr als 80.000 Mitgliedern bestehenden internationalen Verbands Slow Food sowie der zahlreichen Erzeuger aus den Projekten zum Schutz der Biodiversität wie etwa der Arche des Geschmacks und dem Presidi-Projekt. [1] Es begann eine langwierige Auswahlarbeit, bis wir schließlich die Einladungen versenden konnten. Wir wählten den 20. Oktober 2004 für unser Treffen, das so zeitgleich mit dem Salone del Gusto stattfand. Diese internationale kulinarische Messe organisieren wir seit 1996 auf dem Messegelände Lingotto in Turin. Wir laden dazu das Beste ein, was die italienische und internationale Lebensmittelproduktion zu bieten hat und was dem Kanon der Slow-Food-Philosophie entspricht. Der Salone del Gusto, bei dem sich alles um die Produkte dreht, ist ein großer Publikumserfolg. Welcher Zeitpunkt wäre also besser geeignet, um auch die Bauern nach Turin zu bringen, die Hände und Köpfe, die Urheber dieser Wunderwerke, die man im Salone verkosten kann? Und warum ihnen nicht den Besuch des Salone ermöglichen, des Ereignisses schlechthin für die internationale Gastronomie? Die Gelegenheit war in der Tat günstig. Das Publikum und die an guten Lebensmitteln interessierten Unternehmer könnten so Tausende von Bauern aus der ganzen Welt treffen, jene Menschen, die unter großen Entbehrungen und oft schwierigsten Umständen dafür garantieren, dass wir alle unser täglich Brot auf dem Tisch haben. Durch diese Begegnungen würden auch die Probleme der Bauern und der Kampf, den sie um unsere Zivilisation führen, in das Bewusstsein des Publikums dringen.
Es war nicht einfach – man kann hier nur annähernd wiedergeben, was es bedeutet, eine große Zahl von Menschen aus ihren abgelegenen Dörfern wegzulocken; für 5.000 Individuen, von denen viele das Reisen nicht gewohnt waren, Flüge zu buchen, Unterkünfte zu organisieren und für die Transporte vor Ort zu sorgen. Aber am Ende ging das Treffen ohne Pannen über die Bühne und wurde ein voller Erfolg. Wir trieben die nötigen Mittel auf, um denen, die es sich nicht leisten konnten (die überwiegende Mehrheit), die Reise zu bezahlen. Hierbei unterstützten uns die nationalen und lokalen Institutionen großzügig. Die gastliche Aufnahme seitens der Piemonteser Bauernfamilien war rührend, und auch vom logistischen Aspekt her gelang das Unterfangen. Am 20. Oktober 2004 versammelten sich im Palazzo del Lavoro in Turin zur Plenarversammlung rund 5.000 Personen aus 130 Nationen, während nur wenige Meter weiter im Lingotto Zehntausende den Salone del Gusto besuchten. Gekommen waren Bauern, aber auch Fischer, kleine Handwerker, Hirten und Nomaden – keine Gewerkschaftsvertreter oder Repräsentanten anderer Organisationen, nur jene Menschen, die die Erde bearbeiten und aufs Meer fahren, um uns alle mit Nahrung zu versorgen.
Sie alle reisten als Vertreter ihrer Gemeinschaften, der »Lebensmittelbündnisse«, nach Turin. Wir nannten sie so, um eine passende Bezeichnung für die Delegierten zu haben. Es handelte sich ja nicht um Mitglieder von Vereinen oder Gewerkschaften und noch weniger um Politiker. Es gibt verschiedene Arten von Lebensmittelbündnissen: Gruppen von Erzeugern, die aus demselben Ort kommen oder dieselben Produkte herstellen, Gruppen, die das Bündnis zwischen Landwirten und weiterverarbeitenden Betrieben repräsentieren sowie ganze kleine Nahrungsmittelketten. Die in Turin versammelten ungefähr 5.000 Personen waren Vertreter einer mindestens hundertmal größeren Zahl von Menschen. Etwas überspitzt, auch ein wenig provozierend, kann man sagen, dass es sich dabei um den größten existierenden Lebensmittelmulti handelte.
Während der vier Tage des Terra-Madre-Treffens im Jahr 2004 bekamen die Lebensmittelbündnisse Zuspruch von
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