Terror: Thriller (German Edition)
Haar und die Hände eines Mannes, der sein Leben lang hart gearbeitet hatte. Sandra war zurückhaltend, fast schüchtern. Sie sah ihr Gegenüber beim Sprechen nicht an. Nach einer ausgedehnten Begrüßung saßen sie in der gut geheizten Stube am großen Tisch mit der blümchengemusterten Wachstuchtischdecke, die kaum mehr zu sehen war vor lauter Biscotti, Colombe und was Sandra sonst noch an Gebäck aufgetischt hatte. Conny und Anna führten Sandra das Räuchermännchen vor. »Che bello«, sagte Sandra immer wieder. Anna hielt die Räucherkerze fest, Conny zündete sie mit einem Streichholz an und stellte sie auf die Metallplatte im Bauch des Männchens. Dann schraubte sie den Oberkörper darauf; ein blau gewandeter Schutzmann mit langem Bart und roten Backen, eine Laterne in der Hand und die gebogene Pfeife im Mund, stand nun auf der Wachstuchtischdecke und dampfte.
»Che bello!« Weihnachtlicher Tannennadelduft durchströmte die Stube.
Da kam Massimo mit einer Flasche selbst gekelterten Rotweins aus dem Keller zurück. Marc konnte seine Ungeduld kaum mehr zügeln. Er wusste, dass er nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen konnte. Er sah zu, wie Massimo die Weinflasche öffnete und vier Gläser vollschenkte. Sandra stellte eine Flasche Eistee auf den Tisch. Für Anna. Sie prosteten einander zu, jeder musste einmal mit Anna anstoßen, dass die Gläser klirrten, und nachdem sie ein paar allgemeine Floskeln ausgetauscht hatten, sah Marc seine Chance gekommen.
»Letzte Nacht ist etwas passiert«, fing er an und bemühte sich, mit seinem zwar guten, aber längst nicht perfekten Italienisch die Situation so präzise wie möglich zu schildern. Die Schreie aus dem Babyfon, die am Hause vorbeirennenden Männer, zwei mindestens …
»Habt ihr sie gesehen?« Massimo sah plötzlich angespannt aus. Überhaupt schien es Marc, als habe sich die Stimmung in der Stube schlagartig verändert.
»Nein. Wir haben nur die Schritte gehört. Sie sind in Richtung Kirche gerannt. Ich habe noch die Rücklichter ihres Wagens gesehen. Sie sind runtergefahren, Richtung Vessalico.«
»Und dann?«
Marc erzählte von dem schwer verletzten Mann, den er in der Diele des Hauses mit der verblichenen Eins gefunden hatte. Zu seinem Erstaunen sah er, wie Massimo und Sandra sich einen Blick zuwarfen. Sie sahen plötzlich erleichtert aus. Massimo lächelte sogar und machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Ach so – der Marokkaner!«
»Sie kennen den Mann?«
»Kennen würde ich nicht sagen«, warf Sandra ein. Massimo hob sein Glas und prostete Marc und Conny freundlich zu. »Am besten vergesst ihr das ganz schnell.«
»Wieso?« Marc war verwirrt. Er sah fragend zu Conny. Sie schien ebenso erstaunt zu sein. Da warf Anna ihr Eisteeglas um.
»Och Mausi!« Conny kramte ein Papiertaschentuch hervor und versuchte den See einzudämmen, dessen Arme über die Wachstuchtischdecke krochen.
»Niente. Kein Problem«, sagte Sandra, eilte in die Küche und kam mit einem Lappen zurück, während Marc versuchte, sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Rauchschwaden waberten um die Deckenlampe. Die Luft in der Stube war mittlerweile geschwängert vom Tannennadelduft der Räucherkerze. Sandra wischte den Eistee vom Tisch und Marc hakte nach: »Was ist mit dem Marokkaner?«
»Ich habe die ganze Zeit gewusst, dass es mit dem irgendwann Ärger gibt«, sagte Massimo, und Sandra nickte bestätigend mit dem Kopf. Marc fiel auf, dass ihr linkes Augenlid zuckte. Ein nervöser Tick. Massimo schenkte Wein nach.
Marc und Conny erfuhren, dass der italienische Staat angesichts überfüllter Gefängnisse vor ein paar Jahren dazu übergegangen war, verurteilte Sträflinge in verlassenen Häusern auf dem Land unterzubringen.
»Sträflinge?«, fragte Marc, »das heißt …«
»Der Marokkaner ist ein verurteilter Verbrecher.«
In dem Moment kam die getigerte Katze, die sie vorhin im Garten gesehen hatten, schnurrend aus der Küche und sprang Sandra auf den Schoß. Annas Interesse war geweckt. Sandra winkte Anna heran.
»Vieni!«
Anna sah Conny fragend an.
»Geh ruhig hin, du darfst sie streicheln«, erklärte Conny.
»Seit wann ist der Marokkaner hier?«, fragte Marc.
»Seit etwa drei Monaten.« Massimo erzählte, dass die Gemeinde von Anfang an versucht hatte zu verhindern, dass der Marokkaner seine Strafe in Lenzari absaß, aber alle Proteste waren vergeblich gewesen.
»Wir wissen gar nicht, ob er wirklich Marokkaner ist«, Sandra wischte mit der Handfläche
Weitere Kostenlose Bücher