Terror: Thriller (German Edition)
rennen. Gleich würde die Stimme der Verkäuferin durch die Arkaden hallen: »Stoppt sie! Haltet den Dieb!« Aber nichts geschah. Nur ein paar Männer, die vor dem Café Da Maria ihren Aperitif nahmen, sahen ihr verwundert nach. Sie hastete über die Hauptstraße. Der Nieselregen benetzte ihre Stirn. Sie hatte das Ende der Arkaden fast erreicht, als sie den Carabinieri-Jeep am Ortsausgang bemerkte. Er stand quer auf der Straße und versperrte die Fahrbahn. Die Beifahrertür wurde geöffnet. Ein Carabiniere stieg aus. Carla konnte sein Gesicht aus der Entfernung nicht genau erkennen – und trotzdem wusste sie, wer das war.
Lenzari, Freitag, 4. Juni 2010, 18:12 Uhr
Verdammter Nebel. Und diese verdammte Stille. Fast sehnte sich Fabrizio die Glocken zurück.
»Alles klar bei dir?« Cesare ging nur ein paar Meter links von ihm. Trotzdem konnte er dessen Gesichtsausdruck nicht genau erkennen, so dicht war der Nebel.
»Ja«, antwortete Fabrizio. »Alles klar.« Aber es stimmte nicht. Nichts war klar. Er hoffte, dass Cesare nicht sah, wie sehr seine Hände, mit denen er die Pistole umklammerte, zitterten. Jeder Schritt kostete unendlich viel Kraft, fast als bahne er sich den Weg nicht durch Nebel, sondern durch hüfthohen Schnee. Aus dem Augenwinkel sah er, wie von rechts etwas auf ihn zuschoss. Fabrizio fuhr herum, richtete die Waffe auf den bedrohlichen Schatten – und erkannte sich selbst, im Verkehrsspiegel, der rechts an der Mauer angebracht war. Seine konvexe Krümmung sorgte dafür, dass Fabrizios Spiegelbild unendlich verloren wirkte. Fabrizio ließ die Waffe sinken.
»Fabi! Hör mal!« Cesare flüsterte. Seine Stimme klang rau. Fabrizio trat zu ihm. Das Geräusch kam von rechts, aus dem verfallenen Gebäude mit dem großen Loch in der Decke. Es klang, als schlage etwas – oder jemand – in unregelmäßigen Abständen gegen eine Holzwand.
Schritt für Schritt schoben sich die Carabinieri durch den Nebel voran. Fabrizio hatte den Torbogen fast erreicht, das Geräusch war jetzt noch viel deutlicher zu hören. Es klang hektisch, die Abstände zwischen den Schlägen waren kürzer geworden, dazwischen raschelte es. Als Fabrizio die Waffe auf den Torbogen richtete, wusste er plötzlich, wer dieses Geräusch machte.
»Das sind die Kaninchen, Ce.«
Cesare ließ die Waffe sinken. Fabrizio sah ihm die Erleichterung an. Sie traten durch den Torbogen ins Innere der Ruine. Auf den Kaninchenställen stand ein Paar alter, lehmverkrusteter Bergschuhe. Daneben lagen zwei Büschel mit Grünzeug. Futter für die Kaninchen. Offenbar war Antonio nicht mehr dazu gekommen, die Tiere zu füttern. Sie rannten aufgeregt in ihren Verschlägen hin und her. Die Kaninchen hatten etwas Tröstliches, vielleicht einfach dadurch, dass sie lebendig waren.
Fabrizio nahm das Grünzeug, öffnete die Türen einen Spalt und warf es in die Verschläge. Die Kaninchen stürzten sich darauf. Sie schienen völlig ausgehungert zu sein.
»Komm, weiter!« Cesare war bereits wieder auf der Straße. Fabrizio folgte ihm.
Auf der linken Seite, kurz bevor die Straße eine scharfe Rechtskurve machte, lag das Haus der Deutschen. Fabrizio sah an der Fassade nach oben. Die grünen Fensterläden waren geschlossen.
»Wir sollten bei den Deutschen nachsehen.«
»Wir müssen zuerst Verstärkung holen«, antwortete Cesare. »Das ist das Wichtigste.«
Sie folgten dem Verlauf der immer schmaler werdenden Straße nach rechts. Cesare ging auf der linken, Fabrizio auf der rechten Straßenseite. Schemenhaft tauchte Marios Haus vor ihnen aus dem Nebel auf – und ihm gegenüber das Haus des Marokkaners. Noch fünfzehn Meter etwa. Fabrizio bemühte sich, kein Geräusch zu machen. Er warf einen Blick hinüber zu seinem Kollegen, der mit durchgedrückten Armen seine Waffe hielt und sich an der Hauswand entlang vorwärts schob. Plötzlich hörte Fabrizio eine Stimme. Er zuckte zusammen, blieb stehen, drückte sich mit dem Rücken gegen die Hauswand und atmete tief durch. Cesare war genauso erschrocken, er sah es ihm an. Fabrizio spürte die Kühle der Mauer durch seine Uniformjacke hindurch, da, wo sie gegen seinen Buckel drückte, noch etwas mehr. Die Stimme klang aggressiv. Arabisch. Klar: der Fernseher! Der Marokkaner schaute immer fern, die ganze Zeit. Es war gespenstisch: Keine Menschenseele war unterwegs, nirgendwo ein Zeichen von Leben, der Nebel, der alles unter sich begraben hatte, und die unverständlichen arabischen Worte, die durch die Stille knallten wie
Weitere Kostenlose Bücher