Terror: Thriller (German Edition)
und nun ging es um ein dreißig Jahre zurückliegendes Attentat. Wie hing das zusammen? Aber noch bevor er etwas sagen konnte, fuhr Kersting fort: »Ich habe geholfen, die Verletzten zu versorgen. Es herrschte völliges Chaos, keiner überblickte die Lage. Dann kamen die Politiker, und sofort wurde der Anschlag parteipolitisch instrumentalisiert. CSU -Leute warfen SPD - und FDP -Politikern vor, mitverantwortlich zu sein für das Attentat. Sie dürfen nicht vergessen: Es war die heiße Phase des Wahlkampfs. Am 5. Oktober 1980 sollte gewählt werden.«
Kersting hielt inne und starrte einen Moment lang nachdenklich vor sich hin. Doch gleich darauf sprach er mit energischer Stimme weiter: »Am nächsten Morgen saß ich völlig übermüdet auf einer Bank im Flur des LKA in München und wartete auf die erste Stellungnahme der SOKO Theresienwiese. Da kam eine junge Frau den Flur entlang, sie war sehr hübsch und sehr aufgeregt. Ich habe gehört, wie sie dem Beamten am Empfang sagte, sie wolle eine Aussage machen im Zusammenhang mit dem Attentat.«
Kersting stockte. Es schien, als habe er den Faden verloren. Doch dann sammelte er sich und fuhr fort: »Ich saß immer noch auf der Bank und wartete, als sie wieder aus dem Zimmer kam. Aus einem Impuls heraus beschloss ich, auf die Stellungnahme der SOKO zu verzichten und mir stattdessen anzuhören, was die Frau beobachtet hatte. Ich lud sie zu einem Kaffee ein, und sie erzählte.« Er hielt die beiden maschinengeschriebenen Seiten in die Höhe.
»Ihre Aussage habe ich Ihnen eben vorgelesen.«
Für einen Moment herrschte Stille im Raum. Dann knallte es im Kamin, ein Scheit brach auseinander, und Funkengarben schossen nach oben.
»Entschuldigen Sie, mal ’ne dumme Frage.« Klaus’ Stimme zitterte leicht, »aber ich dachte, der Fall Oktoberfest-Attentat ist aufgeklärt? Das war doch dieser Gundolf …«
»Gundolf Köhler, der verwirrte Einzeltäter, der beim Anschlag ums Leben kam.« Kerstings Stimme war plötzlich höhnisch. »Es beleidigt einfach meinen Intellekt, dass ich das glauben soll.«
»Aber warum?« Marc spürte, dass er plötzlich auf Distanz ging. Was wusste er über diesen Kersting? War der Mann seriös?
»Die Frau hat den Beifahrer im Fiat genau beschrieben, aber ihre Aussage ist später in keinem der Protokolle aufgetaucht. Erst viel später habe ich erfahren, dass das kein Einzelfall war. Alle Zeugenaussagen – und es waren eine ganze Menge –, denen zufolge Gundolf Köhler nicht allein am Tatort war, sind unterschlagen oder manipuliert worden.« Er war jetzt sichtlich aufgeregt. »Wenn so was ein- oder zweimal passiert, mag das Schlamperei sein, aber in dieser Häufung hat es System. Das ist nicht anders zu erklären.« Er öffnete den Aktenordner, holte einen Schnellhefter hervor und legte ihn auf den Tisch. »Ich habe Ihnen hier einmal ein bisschen Material zusammengestellt. Das Ganze ist jetzt dreißig Jahre her. Von verschiedenen Seiten ist inzwischen darauf gedrungen worden, dass das Verfahren wieder aufgerollt wird. Mittlerweile scheint keiner mehr ernsthaft an die Einzeltätertheorie zu glauben. Trotzdem passiert nichts. Es ist, als laufe man gegen eine unsichtbare Mauer. Offiziell hat noch immer der Geologie-Student Gundolf Köhler diese hoch komplizierte Bombe selbst gebaut, ist dann von Donaueschingen nach München gefahren und hat sich und zwölf andere Menschen in die Luft gesprengt. Und wissen Sie, was laut Ermittlungsakten sein Motiv war?«
Marc schüttelte den Kopf.
»Frust. Frust darüber, dass er eine Prüfung an der Uni vergeigt hatte. Sie können das im offiziellen Abschlussbericht der SOKO Theresienwiese nachlesen.«
Kersting stand auf und ging zum Kamin, um Holz nachzulegen.
»Was hat das alles mit unserem Mann zu tun?« Marc wurde ungeduldig.
»Ich hatte das Thema lange schon abgehakt, habe nicht mehr geglaubt, dass sich da noch irgendetwas bewegen würde. Und dann hat mir vor etwa einem Jahr ein befreundeter Kollege diese Unterlagen in die Hand gedrückt.« Kersting deutete auf den Schnellhefter, den er vor Marc auf den Tisch gelegt hatte. Marc warf einen Blick hinein. Es waren Aktenkopien.
»Dieser Kollege«, fuhr Kersting fort, »war auf die brillante Idee gekommen, bei der Birthler-Behörde nachzuschauen, ob die Stasi Informationen zum Oktoberfest-Attentat gesammelt hat.«
Das Feuer knackte im Kamin, Funken stoben auf. Kersting setzte sich wieder an den Tisch.
»Und?«, fragte Klaus und sah Kersting gespannt
Weitere Kostenlose Bücher