Terror: Thriller (German Edition)
Chance nutzen, um herauszufinden, was in Lenzari passiert war. Denn zum ersten Mal hatte Anna von sich aus etwas erzählt, auch wenn es nur das Detail war, dass ihr Vater sie weggeschickt hatte. Carla musste mehr wissen.
»Was hast du dann gemacht, als dein Papa gesagt hat, du sollst weggehen?«
»Er hat mich angeschrien!« Anna klang immer noch fassungslos.
»Und dann?«
»›Verschwinde!‹, hat er gebrüllt.«
»Und dann?«
Schweigen. Carla musste es anders versuchen:
»Und was ist vorher passiert? Warum war denn dein Papa so böse?«
Anna beugte sich nach vorn und hob etwas vom Boden auf. Einen Tannenzapfen.
»Guck mal«, sagte sie und hielt Carla das dreckverkrustete Ding vor die Nase. Gut, dachte Carla, dann nicht. Lieber nicht insistieren. Sie sprachen über Tannenzapfen, darüber, dass man sie gut zum Anfeuern des Kamins nutzen konnte, und Carla verriet Anna, dass Tannenzapfen auf Italienisch »pigna« hieß und weiblich war.
»Eine Tannenzapfen?« Anna sah Carla verwirrt an. »Hä?« Dann erhellte ein Lächeln ihr Gesicht, und Carla war froh. Die Krise schien überwunden zu sein.
»Sollen wir weiter gehen?«, fragte sie, und Anna nickte.
Als die Schotterpiste endete, holte Carla ihr Handy aus der Tasche und schaute aufs Display. Es war kurz nach acht. In einer halben Stunde würde Luca losfahren.
»Kannst du noch, Anna?«, fragte sie.
Anna nickte. Sie stapfte vorneweg, Carla folgte ihr. Eine beängstigende Stille herrschte im Wald. Ab und zu knackte es im Unterholz. Es herrschte Dämmerlicht, und der Nebel ließ nicht zu, dass man weiter als zehn Meter sehen konnte. Sie durften unter keinen Umständen von diesem Weg abkommen. Jetzt durfte nichts schiefgehen. Oben würde Luca auf sie warten. Mit einem Auto. Sie würden einsteigen und losfahren. Und dann … dann würden sie weitersehen. Zum ersten Mal seit Stunden hatte Carla das Gefühl, einen Plan zu haben, der tatsächlich funktionieren könnte. Davor war alles chaotisch gewesen. Sie war von Situation zu Situation gesprungen wie von Fels zu Fels über einen reißenden Fluss. Nur mit viel Glück war sie nicht hineingestürzt und von den Fluten fortgerissen worden. Aber das, was sie jetzt vorhatten, das könnte klappen. Noch war ihnen niemand auf den Fersen. Ein Verfolger müsste sie eigentlich schon längst eingeholt haben. Sie kamen nicht besonders schnell voran, und sie hatten lange auf dem Baumstamm gesessen. Sie warf einen Blick auf die schmale Gestalt vor sich, die tapfer Schritt für Schritt bergauf stapfte. Es schien wieder zu gehen. Anna hatte sich gefangen. Hoffte sie.
Ein Knacken im Unterholz ließ sie zusammenzucken. Die Geräusche erschienen überlaut. Anna zeigte keine Reaktion. Hatte sie nichts gehört?
Sie stapften weiter. Der Weg wurde immer steiler. Plötzlich blieb Anna stehen, wandte sich zu Carla um. »Ich habe Durst«, sagte sie. Verdammt, sie hätte eine Flasche Wasser besorgen müssen, dachte Carla. Sie hatte nur die Kleider für Anna im Kopf gehabt, aber Wasser wäre genauso wichtig gewesen.
»Tut mir leid, Anna, ich habe kein Wasser. Ich fürchte, du musst warten, bis wir oben sind.«
Anna drehte sich wortlos um und ging weiter. Carla fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sie hatte ebenfalls Durst.
»Bald kommen wir an das Haus mit den Tieren«, sagte Anna.
»Welche Tiere?«
»Holztiere. Die hat Enzo geschnitzt.«
»Wer ist Enzo?«
»Ein behinderter Mann.«
»Lebt Enzo in dem Haus?«
»Nee, ich glaub nicht«, Anna zögerte, »ich glaub, da sind nur die Tiere.«
Plötzlich klingelte das Handy. Wieder erschrak Carla. Es war nicht ihr Handy, es war das von Annas Vater. Sie fischte es aus der Tasche. Klaus ruft an, zeigte das Display. Anna war stehen geblieben und hatte sich zu Carla umgedreht.
»Kennst du einen Klaus?«, fragte Carla schnell.
»Das ist unser Nachbar in Berlin, ein Freund von Papa.«
Carla nickte Anna zu und nahm das Gespräch an.
Sie hörte an seiner Reaktion, dass es diesen Klaus völlig irritierte, eine ihm fremde Frau am Telefon zu haben. Wahrscheinlich wusste er noch überhaupt nicht, dass etwas passiert war.
»Wer sind Sie?«, fragte er.
»Mein Name ist Carla Vazzoler.«
Eine kurze Pause am anderen Ende. Dann:
»Warum haben Sie Marcs Handy?« Klaus’ Stimme klang irgendwie gequält. Oder abwesend, dachte Carla.
»Man hat mich als Übersetzerin ins Krankenhaus gerufen …« Sie stockte. Für einen Moment herrschte Schweigen. Jetzt musst du fragen, dachte Carla, jetzt
Weitere Kostenlose Bücher