Terror
in einem Umkreis von fünfhundert Fuß über das Eis zuckten. Dann rief er nach seinen Offizieren und suchte nach einem Eisbrocken, auf dem er den immer noch bewusstlosen George Chambers ablegen konnte.
Plötzlich hörte er das Tat-tat-tat von Büchsenfeuer.
Es war unfassbar. Knapp außerhalb des Lichtkreises hatten sich vier Seesoldaten auf das Eis gekniet und schossen auf die Gruppen rennender Männer. Hier und da stürzten Gestalten zu Boden, die noch immer in die traurigen Überreste ihrer Kostüme gekleidet waren.
Crozier ließ Fitzjames los und trat mit rudernden Armen nach vorn mitten in die Schusslinie. Kugeln pfiffen an seinen Ohren vorbei.
»FEUER EINSTELLEN! DER BLITZ SOLL DICH ERSCHLAGEN, TOZER! ICH DEGRADIERE DICH VOM SERGEANTEN ZUM GEFREITEN UND LASS DICH AN DER GROSSRAH AUFKNÜPFEN, WENN DU NICHT SOFORT DAS VERDAMMTE FEUER EINSTELLST!«
Nach einem letzten Knattern verhallten die Schüsse.
Die Seesoldaten richteten sich in Salutierhaltung auf, und Sergeant Tozer rief, dass sich das weiße Ungeheuer zwischen den Männern herumtreiben würde. Sie hätten es im Licht der Flammen gesehen. Es hätte einen Mann in seinem Maul getragen.
Crozier beachtete die Seesoldaten nicht weiter. Rufend und gestikulierend schob er die Männer je nach ihrer Schiffszugehörigkeit in Gruppen auf dem Eis zusammen und schickte diejenigen mit offensichtlichen Verletzungen oder Verbrennungen gleich auf die Erebus . Zugleich hielt er Ausschau nach seinen Offizieren oder auch nach Offizieren des Flaggschiffs. Er brauchte Leute, denen er Befehle erteilen konnte und die diese Befehle dann an die verängstigten Seeleute weitergaben, die noch immer
durch Eiszacken und Pressrücken hinaus in die heulende arktische Finsternis flohen.
Wenn sie nicht bald zurückkamen, würden sie da draußen erfrieren. Oder das Ungeheuer würde sie finden. Crozier beschloss, dass sich niemand auf den Weg zurück zur Terror machen durfte, ohne sich vorher auf dem Unterdeck der Erebus aufgewärmt zu haben.
Doch zuerst musste der Kapitän die Männer ein wenig beruhigen, damit sie wieder zur Besinnung kamen und gemeinsam die Verletzten und Toten aus den Überresten der Karnevalsräume bergen konnten.
Anfangs fand er nur Unterleutnant Couch von der Erebus und den Zweiten Leutnant Hodgson. Ein dampfender Nebel hatte sich über die Szenerie gelegt, weil in weitem Umkreis um den Brand eine mehrere Zoll dicke Eisschicht aufgetaut war. Dann endlich tauchte zwischen den Schwaden Leutnant Little auf, salutierte unbeholfen mit dem versengten rechten Arm und meldete sich zur Stelle.
Mit Little an seiner Seite fiel es Crozier leichter, die Männer wieder in den Griff zu bekommen, sie zurück zur Erebus zu schicken und sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Er befahl den Seesoldaten, die Büchsen nachzuladen und zwischen der größer werdenden Gruppe erschöpfter Männer vor der Eisrampe der Erebus und der noch immer tobenden Feuersbrunst Gefechtsstellung zu beziehen.
»Mein Gott«, rief Dr. Goodsir, der gerade von der Erebus gekommen war und den schweren Überzieher abstreifte. »Die Flammen geben so viel Hitze ab, dass es richtig warm wird.«
»Sie haben recht.« Jetzt spürte auch Crozier den Schweiß im Gesicht und am Körper. Durch das Feuer war die Temperatur um mindestens fünfzig Grad gestiegen. Beiläufig überlegte er, dass das Eis schmelzen und sie alle ertrinken konnten. In bellendem Befehlston wandte er sich an Goodsir.»Laufen Sie rüber zu
Leutnant Hodgson und sagen Sie ihm, er soll die Toten und Verletzten zählen und zu Ihnen bringen. Suchen Sie die anderen Ärzte zusammen und lassen Sie in Sir Johns Großer Messe ein Lazarett einrichten, so wie Sie es als Chirurg für den Fall eines Gefechts auf See gelernt haben. Und die Toten sollen nicht einfach auf dem Eis aufgebahrt werden – das Wesen treibt sich hier immer noch irgendwo rum. Sagen Sie den Seeleuten, sie sollen sie in die Vorpiek im Unterdeck schaffen. In vierzig Minuten bin ich bei Ihnen, dann möchte ich eine komplette Opferliste.«
»Aye aye, Sir.« Der Arzt packte seinen Überrock und eilte hinüber zur Eisrampe der Erebus , wo Leutnant Hodgson stand.
Die Segel, Taue, Spieren, Kostüme, Tische, Fässer und anderen Möbelstücke, aus denen die sieben farbigen Gemächer errichtet worden waren, brannten noch die ganze Nacht und weit bis in den stockfinsteren Morgen hinein.
26
Goodsir
70°05′ NÖRDLICHE BREITE | 98°23′ WESTLICHE LÄNGE
4. JANUAR
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