Terror
Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob die Schiffe im Juni, Juli oder August tatsächlich in See stechen können, falls es taut. Kapitän Fitzjames?«
Fitzjames’ Stimme war nur noch die hohle Hülse ihrer ehemaligen Zuversicht und Festigkeit; auf beiden Seiten der Tafel mussten sich die Männer vorbeugen, um seine Worte zu verstehen. »Ich glaube nicht, dass die Erebus bis zum Sommer durchhält. Zusammen mit meinen Zimmerleuten Mr. Weekes und Mr. Watson, meinem Bootsmannsmaat Mr. Brown, meinem Bootssteuerer Mr. Rigden sowie den hier anwesenden Leutnant Le Vesconte und Unterleutnant Des Voeux bin ich der Meinung, dass sie sinken wird, sobald das Eis taut.«
Die Luft in der Großen Messe schien noch kälter zu werden und sich schwerer auf die Versammelten niederzusenken. Eine halbe Minute lang blieb es stumm.
Schließlich fuhr Fitzjames mit seiner leisen, heiseren Stimme fort: »Der Druck des Eises in den letzten beiden Wintern hat das Werg aus den Rumpfplanken gequetscht. Die Antriebswelle der Schiffsschraube ist dermaßen verbogen, dass sie nicht repariert werden kann. Wie Sie alle wissen, wurde sie so konstruiert, dass sie bis hinauf zum Orlopdeck eingezogen werden kann, um eine Beschädigung zu verhindern. Aber jetzt kann sie nicht mehr weiter als bis zum Kiel eingezogen werden – und wir haben keine Ersatzantriebswellen mehr. Die Schiffsschraube ist vom Eis
genauso zerschmettert worden wie unser Ruder. Wir könnten vielleicht ein behelfsmäßiges Ruder konstruieren, aber das Eis hat auch den Rumpf über die gesamte Länge des Kiels aufgerissen. Am Bug und an den Schiffswänden fehlt fast die Hälfte unserer Eisenpanzerung. Und das ist noch nicht alles. Das Eis hat den Rumpf so zusammengedrückt, dass die zur Verstärkung eingebauten eisernen Querbalken und gusseisernen Kniestücke entweder geborsten sind oder an mehr als einem Dutzend Stellen die Schiffswände durchbohrt haben. Das heißt, selbst wenn wir jedes Loch ausbessern und das Leck im Antriebswellenschacht reparieren könnten, hätte sie keine innere Versteifung mehr, um dem Druck des Eises standzuhalten. Und die vor dieser Expedition an den Außenwänden zusätzlich befestigten Holzblenden haben zwar dafür gesorgt, dass das Eis nicht über die erhöhten Schandeckel klettern konnte, aber das Krängen des Schiffs hat einen derartigen Druck auf diese Blenden ausgeübt, dass an sämtlichen Blendennähten die Rumpfplanken gesprungen sind.« Fitzjames hielt unvermittelt inne, schien zum ersten Mal die atemlose Stille in der Großen Messe zu bemerken. Sein abwesender Ausdruck verschwand, und er senkte verlegen den Blick. Als er wieder aufsah, klang seine Stimme fast entschuldigend. »Am schlimmsten ist, dass sich durch den Druck des Eises der Achtersteven verzogen hat und sich die Planken gelockert haben. Dadurch hat sich die Statik der Erebus völlig verschoben. Inzwischen brechen schon die Decks nach oben auf. Das Einzige, was sie noch festhält, ist das Gewicht des Schnees. Und niemand von uns glaubt ernstlich, dass unsere Pumpen den Lecks gewachsen wären, wenn sie aus dem Eis freikäme. Was den Kessel, die Kohlevorräte und die Dampfkraft angeht, möchte ich Mr. Gregory das Wort überlassen.«
Alle Blicke wandten sich John Gregory zu.
Der Maschinist räusperte sich und leckte sich über die aufgesprungenen Lippen. »Die HMS Erebus verfügt über keine nennenswerte
Dampfkraft mehr. Da die Antriebswelle verbogen ist und sich im Einzugsschacht verklemmt hat, bräuchten wir für die nötigen Reparaturen ein Bristoler Trockendock. Außerdem würde schon jetzt die Kohle nicht einmal mehr für einen Tag Fahrt unter Dampf reichen. Ende April wird keine Kohle mehr zum Heizen da sein, obwohl wir inzwischen nur noch eine Dreiviertelstunde am Tag warmes Wasser in einen Teil der Rohre auf dem Unterdeck pumpen, damit man sich dort noch aufhalten kann.«
Crozier schaltete sich wieder ein. »Mr. Thompson, wie sieht es hinsichtlich der Dampfkraft auf der Terror aus?«
Schweigend fixierte das lebende Skelett den Kapitän eine Weile und sprach dann mit erstaunlich fester Stimme. »Wenn die Terror noch heute freikäme, könnten wir gerade mal ein oder zwei Stunden unter Dampf fahren, Sir. Unsere Antriebswelle hat sich zwar vor eineinhalb Jahren ordnungsgemäß eingezogen, und auch die Schiffsschraube funktioniert noch – zudem wäre da noch eine Ersatzschraube –, aber wir haben fast keine Kohle mehr. Wenn wir die verbleibenden Kohlevorräte der Erebus hierher
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