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Terror

Terror

Titel: Terror Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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absonderten.
    Das Pus eines Scorbutkranken strömt einen außerordentlich fauligen Gestank aus.
    Als Mr. Hoar zum Terror -Lager verbracht wurde, hatte er bis auf zwey bereits alle Zähne verloren. Dabei besaß dieser Mann noch am Weihnachtstage ein strahlendes Lächeln wie kaum ein anderer der jüngeren Expeditionstheilnehmer.
    Hoars Zahnfleisch ist schwarz angelaufen und stark zurückgewichen. In den wenigen Stunden am Tage, in welchen er noch bei Bewußtseyn ist, leidet er unaussprechliche Qualen. Wenn wir seinen Mund öffnen, um ihn
zu füttern, ist der Gestank beinahe unerträglich. Da wir die Handtücher nicht waschen können, haben wir seine Pritsche mit Segeltuch ausgelegt, welches inzwischen schwarz von Blut ist. Auch seine gefrorenen, schmutzigen Gewänder starren vor Blut und getrocknetem Eiter.
    So schrecklich sein Aussehen und Leiden auch seyn mögen, noch weitaus schrecklicher dünkt mich die Thatsache, daß Edmund Hoar solchermaaßen noch viele Wochen und Monathe vor sich hinvegetiren kann, während sein Zustand sich immer weiter verschlimmert. Der Scorbut ist eine niederträchtige Krankheit. Er quält sein Opfer lange Zeit, ehe er ihm endlich Frieden gewährt. Wer zuletzt dem Scorbute erliegt, den erkennen oftmals nicht einmal die engsten Angehörigen, und der Sieche seinerseits hat so viel von seinem Verstand verloren, daß er seine Verwandten nicht mehr zu erkennen vermag.
    Allerdings ist dies in Hoars Falle nicht von Belang. Mit Ausnahme der Gebrüder Hartnell, von welchen schon seit dem Winter auf der Beechey-Insel nur noch Thomas am Leben ist, gibt es keine Verwandten, welche sich auf diese furchtbare Insel voller Wind, Schnee, Eis, Blitz und Nebel wagen würden. Wenn wir fallen, wird uns niemand erkennen oder gar bestatten.
    Für zwölf Männer im Lazarettzelt ist der Tod durch Scorbut nicht mehr fern, und mehr als zwey Drittel der einhundertfünf Überlebenden weisen bereits das eine oder andere Symptom der Krankheit auf. So auch ich.
    In weniger als einer Woche wird unser Vorrath an Citronensaft verbraucht sein, welcher unser trefflichstes Antiscorbuticum war, wiewohl seine Wirkung im vergangenen Jahre stetig abgenommen hat. Danach verfügen wir nur noch über Essig als Abwehrmittel. Vor einer Woche überwachte ich persönlich in unserem Vorrathszelte die gleichmäßige Abfüllung unserer verbliebenen Essigbestände in achtzehn kleinere Fässer, welche für die gleiche Anzahl der hier liegenden Boote bestimmt sind.
    Die Männer verabscheuen den Essig. Anders als der Citronensaft, dessen Säure durch Hinzufügung von Zuckerwasser oder gar Rum bemäntelt werden kann, schmeckt der Essig wie Gift für die Schiffsmaaten, deren Gaumen von dem fortschreitenden Scorbut in ihrem Leibe bereits in Mitleidenschaft gezogen wurde.

    Im Gegensatze zu den einfachen Seeleuten, welche lieber ihr schon arg ranziges, gesalzenes Schweine- und Rindfleisch aßen, bis die Fässer leer waren, haben die Officiere zu ihren Mahlzeiten mehr von den Goldner-Conserven verzehrt und scheinen insgesammt anfälliger für die schlimmeren Symptome des Scorbuts.
    Dies bestätigt Dr. MacDonalds Verdacht, daß dem Fleisch, dem Gemüse und den Suppen aus den Büchsen ein lebenswichtiges Element fehle – oder ein Gift innewohne –, welches in den einst frischen, wenn auch jetzt verdorbenen Victualien noch vorhanden – respective nicht wirksam – sey. Wäre es mir gegeben, wie durch ein Wunder dieses, lebenszerstörende oder -erhaltende, Element zu entdecken, könnte ich vielleicht nicht nur die Expeditionstheilnehmer und womöglich sogar Mr. Hoar retten, sondern dürfte auch auf den Ritterschlag hoffen, wenn wir gefunden werden oder uns aus eigenen Kräften in Sicherheit bringen.
    Indeß muß dies in Anbetracht unserer Lage und in Ermangelung jeglicher wissenschaftlicher Apparaturen ein Ding der Unmöglichkeit bleiben. Ich kann nur beharrlich darauf dringen, daß die Männer sämmtliches Wild essen, welches unsere Jäger heranzuschaffen vermögen. Wider alle Vernunft ahnt mir, daß uns sogar der Speck dieser Tiere vor dem Scorbut schützen würde. Aber unsere Jäger haben schon lange kein lebendes Gethier mehr entdeckt, das sie erlegen könnten. Auch das Fischen bleibt uns verwehrt, weil das mächtige Eis nicht zu durchschlagen ist.
    Gestern Abend kam Capitain Fitzjames vorbei, wie er dies immer am Anfang und Ende seiner langen, langen Tage zu thun pflegt. Nachdem er wie üblich einen Blick auf die Schlafenden geworfen und sich

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