Tesarenland (German Edition)
Zweige mir mein Gesicht zerkratzen und mich fast aufspießen.
»Nun mach schon, Mädchen«, faucht der Fremde ein paar Meter vor mir. »Denk nicht dran und raus da mit dir.«
Er hat recht, eben beugt sich der Tesar oben über die Mauer und sieht zu mir runter. Der Mann dreht sich um und rennt. Ich mache, dass ich aus diesem Gesträuch komme. Dabei zerkratze ich mir meine Hände. Aber ich presse die Lippen fest zusammen und versuche, die brennenden Schmerzen nicht weiter zu beachten.
Ich schaffe es, und als ich wieder freie Fläche erreiche, renne ich los, ohne mich umzusehen. Erst als ich keine Luft mehr bekomme und meine Lungen brennen, bleibe ich stehen. Ich sehe mich um, erkenne aber nichts wieder. Und doch sieht ein Haus wie das anderen aus; zerfallen, von Pflanzen überwuchert, trostlos. In welche Richtung? Ich weiß nicht mehr, wo ich bin. Wie komme ich zurück zu Kayla?
Mit Tränen in den Augen versuche ich mich, zu orientieren. Ich höre jemanden schreien, dann ein gurgelndes Geräusch und wieder Stille. Ich muss hier weg. Jemand ganz in der Nähe ist gerade gestorben, da bin ich mir sicher. Ich hoffe nur, dass es nicht der Mann ist, der mir geholfen hat. Die Vorstellung, er könnte wegen mir gestorben sein, lässt mich wieder losheulen.
Ein paar Schritte weiter gibt es eine schmale Gasse. Ich halte darauf zu. Aus der Dunkelheit kommt mir eine Gestalt entgegen. Als sie mich bemerkt, wird sie langsamer. Noch ein Mensch? Vielleicht der Fremde? Oder Luca? Nein, das kann nur ein Tesar sein. Für einen Menschen ist dieser dunkle Schatten zu groß. Ich drehe wieder um und renne in die andere Richtung zurück.
Nicht stehen bleiben. Wenn du stehen bleibst, hat er dich. Meine Beine werden schwer. Ich kann sie kaum noch heben. Die Tränen versperren mir die Sicht. Etwas pfeift an meinem Ohr vorbei. Ich sehe es in der Sonne aufblitzen, dann schlägt es in einen Baum ein, der inmitten der Straße aus dem Boden gebrochen ist. Ich sehe zurück, hinter mir rennt ein Tesar und er kommt schnell näher. Er holt mit seinem Arm aus, wirft etwas, ich weiche nach links aus. Wieder schlägt etwas in den Baumstamm ein. Es ist eine der silbernen Scheiben.
So schnell ich noch kann, renne ich um die Ecke eines Hauses herum und finde mich direkt am Waldrand wieder. Völlig verloren bleibe ich stehen. Was jetzt? Zurück kann ich nicht, ich würde dem Alien direkt in die Arme laufen. Aber soll ich in den Wald hinein laufen? Dort wartet die Bestie. Sie wird mich erwischen. Vielleicht auch nicht, wenn ich nur kurz Schutz zwischen den Bäumen suche. Für zwei Atemzüge stütze ich meine Hände auf die Knie, verschnaufe, dann richte ich mich wieder auf und laufe auf die Bäume zu. Die kleine Böschung hinauf stolpere ich, muss mich auf meine Handflächen aufstützen und hole mir zusätzlich zu den Kratzern durch die Sträucher auch noch ein paar Schürfwunden. Aber ich beachte sie kaum. Die Angst vor dem Schnaufen direkt hinter mir ist größer. Die letzten Zentimeter bis zum Waldrand krabble ich auf allen Vieren. Noch ein paar Meter, dann richte ich mich auf und verstecke mich hinter einem Baumstamm. Der Tesar folgt mir nicht, wie ich es gehofft habe.
Er steht unten, schaut zu mir rauf, dann dreht er sich einfach um und geht zurück in die Stadt. Ich runzle die Stirn und starre ihm hinterher. Warum folgt er mir nicht? Er gibt einfach so auf? Dann höre ich einen Schrei hinter mir. Es klingt, als käme er von weiter weg. Das Schnarren, das folgt, sagt mir, dass die Bestie dort ist. Und sie ist gerade auf einen Menschen gestoßen. Der Tesar unten ist nicht mehr zu sehen. Kann es sein, dass sie vor ihren eigenen Bestien Angst haben? Können selbst die Tesare diese riesigen Monster nicht kontrollieren?
Ich denke nicht lange darüber nach, sondern rutsche vorsichtig die Böschung wieder herunter. Unten lehne ich mich gegen einen Baumstumpf und ruhe mich ein paar Minuten aus.
Wie weiter? Ich weiß nur, ich muss Kayla finden. Nur wie stelle ich das an? Irgendwie sieht in dieser Stadt alles gleich aus. Überwucherte Häuser, überwucherte Straßen, heruntergestürzte Mauerfragmente von verrottenden Häuse rn, vor sich hin rostende Autos.
Etwas huscht die Böschung hinunter, an mir vorbei und verschwindet in einer Mauerspalte. Eine Katze, ich bin mir aber nicht sicher, da ich nur einmal eine gesehen habe und das ist schon Jahre her. Ich beschließe, am Waldrand entlang zu laufen, in der Hoffnung, dass ich vielleicht bald auf etwas stoße,
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