Teufelsflut
sonst nie. Warum ausgerechnet hier, mitten in England?«
»Sam Sneed wurde mitten in England der Kopf abgeschnitten«, sagte er und fügte mit gespieltem Ernst hinzu: »Außerdem werden wir verfolgt.«
»Ich weiß«, sagte Paula und schaute in den Außenspiegel. »Von Newman in seinem Mercedes. Und das, obwohl Sie es ihm ausdrücklich untersagt haben.«
»Ich glaube nicht, dass er uns bis nach Steeple Hampton hinterherfahren wird. Wir sind übrigens gleich an der Ausfahrt. Sehen Sie, da kommt sie schon.«
Er verlangsamte die Fahrt und bog nach dem Wegweiser mit der Aufschrift
Steeple Hampton
von der Schnellstraße auf eine schmale, kurvige Nebenstraße ab. Zu Paulas großer Erleichterung fuhr Tweed fast im Schritttempo.
»Man weiß ja nie, was hinter der nächsten Kurve auf einen zukommt«, erklärte er. »Vielleicht fährt ein riesiger Traktor aus einem Feldweg auf die Straße. Da nützt es einem dann nichts, wenn man Vorfahrt hat.«
»Meinen Sie nicht, dass wir etwas zu früh dran sind, um mit den Leuten hier ins Gespräch zu kommen?«
»Zu früh?« Tweed kicherte. »Die Menschen hier draußen auf dem Land leben noch wie anno dazumal. Sie gehen mit den Hühnern schlafen und wachen beim ersten Hahnenschrei auf. Wer auf den Feldern arbeitet, muss jedes bisschen Tageslicht ausnützen. Voilä, da wären wir schon.
Nicht besonders eindrucksvoll, oder?«
Steeple Hampton bestand aus einer einzigen, mit alten Häusern gesäumten Straße, an deren Ende ein spitzer Kirchturm in den inzwischen wolkenlos blauen Himmel ragte. Vor den Häusern befanden sich kleine, gepflegte Gärten, umrahmt von niedrigen Mäuerchen. Vor einem Pub namens »Black Bull« fegte ein Mann mit weißen Haaren das Straßenpflaster.
»Der kommt uns gerade recht«, sagte Tweed und hielt an. Er stieg aus und ging auf den Alten zu.
»Schönes Wetter heute«, sagte Tweed freundlich.
»Wenn’s mal so bleibt«, antwortete der Mann in starkem Dialekt.
»Hübsches Pub haben Sie hier.«
»Ab zwölf Uhr haben wir geöffnet, falls Sie ein Bier trinken wollen.«
Der Mann, der den Besenstiel mit knotigen Händen fest umklammert hielt, hatte eine wettergegerbte Haut und einen krummen Rücken. Als er Paula sah, die gleich nach Tweed aus dem Wagen gestiegen war, rang er sich ein Lächeln ab.
»Sie haben sich wohl verfahren, was? Das passiert vielen, besonders im Sommer. Wo wollen Sie denn hin?«
»Hierher, nach Steeple Hampton«, antwortete Paula mit einem freundlichen Lächeln. »Angeblich sollen zwei frühere Freundinnen von mir hier wohnen. Die Schwestern Cavendish.«
»Ah, Davina und Serena. Zwei nette Mädels. Haben immer mit mir geredet, wenn sie ins Dorf kamen.« Er hielt kurz inne. »Ich schätze, Sie haben schon davon gehört. Von der Tragödie. Davina ist tot.«
»Ja, ich weiß. Sie starb bei einem Autounfall.«
»Schlimme Geschichte. Ist früh um drei zurück zu ihrem Häuschen gefahren und dabei unter einen Laster geraten. Das Ding muss so groß wie die Kathedrale von Exeter gewesen sein. Der Fahrer ist einfach abgehauen. Fahrerflucht. Die Polizei hat ihn nie gefunden.« Er seufzte.
»Die Schwestern waren sich ja so ähnlich. Und blitzgescheit. Wobei die Gescheitere der beiden eindeutig Davina war. Wussten Sie, dass sie eine Wissenschaftlerin war? Ich frage mich manchmal, was die noch alles erfunden hätte…«
»Man hat mir gesagt, dass Serena immer noch in Steeple Hampton wohnt. Ich würde sie gern besuchen.«
»Sehen Sie die Kirche? Das Haus der Schwestern liegt direkt dahinter. Es heißt ›Hedgerow‹ und steht ein bisschen abseits von den anderen Häusern.« Langsam wurde der Mann gesprächiger. »Es gehört zwar immer noch Serena, aber sie kommt nur noch selten her. Mrs. Grew kümmert sich um das Haus und ihr Mann pflegt den Garten. Die beiden kriegen regelmäßig einen Scheck von Serena.« Er nahm eine Hand vom Besen und deutete auf das freie Land hinter dem Pub. »Sehen Sie das Land da? Hat alles ihrem Vater gehört, Sir Oswald Cavendish, aber der hat’s verjubelt. Auf der Rennbahn. Das große Haus, das ganze Land – ist alles draufgegangen, um seine Schulden zu bezahlen. Erst später haben die Schwestern das kleine Häuschen gekauft. Wollten wohl da leben, wo sie ihre Jugend verbracht haben. Ich selber wohne ja erst seit vierzig Jahren hier. Komme eigentlich aus dem Westen.«
»Sagten Sie vorhin Sir
Oswald?«,
fragte Tweed.
»Ja. Der Vater der Mädchen war ein Deutscher.« Der Mann sah auf eine altmodische Taschenuhr.
Weitere Kostenlose Bücher