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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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er sich und schwieg.
    Ein Kribbeln lief ihm die Unterarme hinauf. Wenn er jetzt ein Teufel war, konnte er dann immer noch zu Gott sprechen? Würde ihn der Blitz treffen, ein weißes Licht, das aus dem Himmel herabzuckte? Würde er in Flammen aufgehen?
    »Lieber Gott«, flüsterte er.
    Nichts geschah.
    »Lieber Gott, lieber Gott, lieber Gott«, sagte er. Er neigte den Kopf zur Seite, lauschte und wartete auf eine Antwort.
    »Bitte, lieber Gott, mach, dass sie verschwinden. Es tut mit leid, wenn ich letzte Nacht etwas getan habe, was dich verärgert hat. Ich war betrunken. Ich war wütend.«

    Er hielt den Atem an, hob den Blick und betrachtete sich im Rückspiegel. Die Hörner waren nicht zu übersehen. Allmählich gewöhnte er sich an ihren Anblick. Sie wurden zu einem Teil seines Gesichts. Bei dem Gedanken empfand er Ekel, und ihn überlief ein Schauer.
    Am Rande seines Gesichtsfelds sah er etwas Weißes vorbeihuschen. Er riss das Steuer herum und hielt am Straßenrand. Ig war gefahren, ohne nachzudenken, hatte nicht darauf geachtet, wo er war oder wohin es ihn verschlug. Und jetzt stand er vor der Kirche Sacred Heart of Mary, wo er einen Großteil seines Lebens zur Messe gegangen war und wo er Merrin Williams zum ersten Mal gesehen hatte.
    Mit trockenem Mund starrte er das Gebäude an. Seit Merrins Tod war er nicht mehr hier gewesen, und auch in keiner anderen Kirche. Er hatte Menschenansammlungen gemieden und wollte nicht von allen anderen Gemeindemitgliedern angeglotzt werden. Ebenso wenig legte er Wert darauf, sich mit Gott auszusöhnen. Zumindest nicht, bevor Gott seine Schuld bei ihm beglichen hatte.
    Vielleicht würden die Hörner verschwinden, wenn er hineinginge und betete. Oder vielleicht wüsste Father Mould, was zu tun war. Ihm würden die Hörner bestimmt nichts anhaben können. Wenn irgendjemand ihrem Einfluss widerstehen konnte, so dachte Ig, dann doch ein Geistlicher, oder nicht? Ihm stand Gott zur Seite, und das Gotteshaus beschützte ihn. Vielleicht konnte Father Mould einen Exorzismus durchführen? Bestimmt kannte er Leute, die er in einem solchen Fall zurate ziehen konnte. Ein paar Tropfen Weihwasser und einige Vaterunser, und schon war Ig vielleicht wieder normal!
    Er ließ den Gremlin am Bordstein stehen und folgte dem Betonweg zur Kirche hinauf. Erst streckte er die Hand nach
der Tür aus, doch dann zögerte er und ließ sie wieder sinken. Was, wenn er die Klinke berührte und seine Hand in Flammen aufging? Was, wenn er nicht hineingehen konnte, weil eine finstere Macht ihn zurückstieß? Er sah sich durch das Kirchenschiff wanken, während von seinem Hemd Rauch aufstieg und ihm die Augen wie bei einer Zeichentrickfigur aus den Höhlen traten - und stellte sich vor, wie er sich röchelnd vor Schmerzen wand.
    Er zwang sich, die Hand auszustrecken und die Klinke anzufassen. Ein Türflügel öffnete sich, ohne dass seine Hand in Flammen aufging oder sonst irgendwie wehtat. Er ließ den Blick durch das Halbdunkel des Kirchenschiffs über die Reihen dunkel lasierter Bänke schweifen. Im Inneren des Gebäudes roch es nach abgelagertem Holz und alten Gesangbüchern mit von der Sonne ausgebleichten Einbänden und spröden Seiten. Diesen Geruch hatte er schon immer gemocht, und er war überrascht, dass sich daran nichts geändert hatte, dass er nicht daran erstickte.
    Ig trat durch die Tür. Er breitete die Arme aus und wartete. Sah sich erst den einen, dann den anderen Arm genau an, ob da nicht etwa Rauch von einem der Hemdsärmel aufstieg. Nichts geschah. Er hob eine Hand und berührte das Horn an der rechten Schläfe. Es war noch immer da. Er hätte erwartet, dass sie kribbelten oder pulsierten, irgendwas - aber da tat sich nichts. Unter dem Kirchengewölbe herrschten Stille und Finsternis. Nur die Buntglasfenster schimmerten pastellfarben. Mary zu Füßen ihres Sohnes, der am Kreuz starb. Johannes, der Jesus im Fluss taufte.
    Er überlegte, ob er nicht zum Altar gehen, niederknien und Gott anflehen sollte, ihn zu verschonen. Unwillkürlich fing er im Stillen an zu beten: Bitte, lieber Gott, wenn Du machst, dass die Hörner verschwinden, werde ich Dir auf
immer und ewig dienen, ich werde wieder in die Kirche gehen, mich zum Priester weihen lassen, Dein Wort predigen, ja, ich werde in die Dritte Welt hinausgehen, in die trostlosen Länder, wo alle Lepra haben, wenn überhaupt noch jemand Lepra hat, aber bitte, bitte mach, dass sie verschwinden, mach, dass sie wieder verschwinden. Allerdings bekam er

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