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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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vielleicht entlastet hätten? Wie oft habe ich dir gesagt, dass ich es nicht getan habe? Und du hast nicht ein einziges Mal gedacht, dass ich vielleicht - nur vielleicht - unschuldig bin?«
    Sein Vater starrte ihn an und wusste nicht, was er entgegnen
sollte. Schließlich sagte er: »Nein. Eigentlich nicht. Ehrlich gesagt war ich überrascht, dass du ihr nicht schon früher was angetan hast. Ich dachte schon immer, dass du ein durchgeknalltes Stück Scheiße bist.«

KAPITEL 9
    Eine volle Minute lang stand er in der Tür zu seinem Zimmer und ging nicht hinein, obwohl er sich jetzt am liebsten ins Bett geknallt hätte. Ihm tat wieder der Kopf weh - sowohl an den Schläfen als auch am Ansatz der Hörner. Das Druckgefühl hinter der Stirn wurde immer stärker. Am Rande seines Gesichtsfeldes waberte im Takt seines Pulsschlags schwärzeste Finsternis.
    Mehr als irgendetwas anderes wollte er sich ausruhen und nie wieder etwas mit diesem ganzen Wahnsinn zu tun haben. Er sehnte sich nach einer kühlen Hand, die sich ihm auf die Stirn legte. Er sehnte sich nach Merrin - wollte nur noch losheulen, den Kopf in ihren Schoß vergraben, während sie ihm mit den Fingern über den Nacken strich. Sie verkörperte für ihn alles, was er mit der Vorstellung von Ruhe und Geborgenheit verband. Sämtliche Erinnerungen an friedliche Augenblicke in seinem Leben waren mit ihr verknüpft. Wie sie an einem Julinachmittag oberhalb des Flusses im Gras lagen, während eine leichte Brise wehte. Wie sie an einem verregneten Oktobertag Apfelmost tranken, sich bei ihr im Wohnzimmer zusammen unter eine Decke kuschelten, Merrins kalte Nase an seinem Ohr.
    Er sah sich in dem Zimmer um und betrachtete die Trümmer, die von seinem Leben geblieben waren. Unter dem Bett
schaute sein alter Instrumentenkoffer hervor. Er zog ihn heraus und stellte ihn auf die Matratze. Es war seine silberne Trompete. Das Metall war angelaufen, und die Ventile waren abgenutzt, als wäre sie viel in Gebrauch gewesen.
    Und das war sie auch. Selbst als klar gewesen war, dass seine schwache Lunge ihm nicht gestatten würde, jemals Trompete zu spielen, hatte Ig aus Gründen, die er nicht mehr nachvollziehen konnte, weiterhin geübt. Wenn seine Eltern ihn ins Bett geschickt hatten, spielte er oft noch im Dunkeln. Dann lag er auf dem Rücken unter der Bettdecke und ließ die Finger über die Ventile fliegen. Er spielte Miles Davis und Wynton Marsalis und Louis Armstrong. Die Melodien waren allerdings nur in seinem Kopf zu hören. Zwar legte er die Lippen an das Mundstück, durfte es aber nicht wagen hineinzublasen, sonst hätte er riskiert, dass ihm schwindelig wurde und ihm schwarzer Schnee vor den Augen tanzte. Jetzt kam ihm das alles wie maßlose Zeitverschwendung vor - all das Üben ohne Sinn und Zweck.
    In einem plötzlichen Wutanfall kippte er den Inhalt des Koffers auf den Boden, die Trompete und alles, was dazugehörte - Mundrohr und Ventilöl, Ersatzmundstück. Zuoberst lag ein Dämpfer, ein Tom Crown, der wie Weihnachtsschmuck aus gebürstetem Kupfer aussah. Er wollte ihn gerade durchs Zimmer schleudern und hatte sogar schon ausgeholt, aber seine Finger ließen sich nicht öffnen. Es war eine wunderschöne Metallarbeit, aber das war nicht der Grund, warum er den Dämpfer festhielt. Er wusste nicht, warum er es tat.
    Ein Tom Crown war dazu da, dass man ihn in den Trichter der Trompete schob, um den Schall zu ersticken. Wenn man richtig damit umging, konnte man äußerst laszive Töne erzeugen, die einem so richtig an die Eier gingen. Ig
starrte den Dämpfer mit gerunzelter Stirn an. Irgendetwas nagte kaum wahrnehmbar an seinem Bewusstsein. Noch war es keine Idee, nicht einmal eine halbe. Es war eine wirre, ziellose Ahnung. Irgendetwas über Trompeten. Etwas über die Art und Weise, wie man sie spielte.
    Schließlich legte Ig den Dämpfer beiseite und wandte sich wieder dem Trompetenkoffer zu. Er zerrte die Schaumstoffpolsterung heraus, packte ein paar Klamotten hinein und machte sich dann auf die Suche nach seinem Reisepass. Nicht weil er vorhatte, das Land zu verlassen, sondern weil er alles mitnehmen wollte, was ihm wichtig war, damit er nicht später noch einmal zurückkommen musste.
    Der Reisepass steckte in seiner Nobelbibel, eine King-James-Übersetzung mit weißem Ledereinband und den Worten Jesu im Golddruck, die in der obersten Schublade seiner Kommode lag. Terry nannte sie die Neil-Diamond-Bibel. Ig hatte sie als Kind in der Sonntagsschule beim Bibel-Quiz gewonnen.

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