Teuflisch erwacht
zu blinzeln. »Nein. Nach etwa vier Wochen hatte ich den Entzug hinter mich gebracht und war so weit, dass ich mir wieder selbst über den Weg traute. Endlich befielen mich Sorgen um Heather. Ich ging los und meine Angst bestätigte sich. Heather war nicht auf ihrem Zimmer. Ich fand es unbewohnt vor.«
Anna hielt den Atem an. War Heather die Mörderin? Unvorstellbar, dass jemand für ein kleines bisschen Spaß so weit gehen konnte.
»Ich nahm all meinen Mut zusammen und lief zu Salim, denn ich wusste, dass ich sie dort finden würde. Doch auf das, was ich sah, war ich nicht vorbereitet.« Marla umklammerte das Lenkrad inzwischen so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervorstachen. Ihre Schultern bebten, aber sie unterdrückte den Weinkrampf und starrte konzentriert auf die Fahrbahn.
Anna warf einen Blick auf den Tacho. Marla hatte an Tempo zugelegt. Adrenalin schoss in ihren Kopf, kitzelte schlafende Hunde wach. Die Erinnerung durchbrach den sorgsam errichteten Schutzwall. Sie war schon einmal auf der Autobahn verunglückt. Plötzlich saß sie wieder in dem Bus, in dem Kira versucht hatte, sie zu töten. Sie schaute hinaus, sah die Welt vorbeiziehen und ihr Herz sandte einen Notruf ab. Wenn sie ungebremst in die Leitplanke fuhren … »Marla, halt an!«
Marla drückte das Bremspedal durch, blickte in den Rückspiegel und zog auf den Standstreifen. »Alles okay?«
»So aufgewühlt kannst du nicht weiterfahren.« Ihr Herz probte einen Aufstand. Sie hatte einen irreparablen Seelenschaden davongetragen und nun entblößte er sein Gesicht. Anna atmete tief durch. Die Illusion zerbarst und die Panik zog ihre Soldaten ab.
»Ich hatte die Kontrolle, alles in Ordnung.« Marla schüttelte den Kopf und streckte die Hand nach ihr aus. Sie sah so schockiert aus, wie Anna sich fühlte.
»Was ist passiert?«, nahm Anna den Faden auf und ignorierte das nachklingende Kribbeln in ihren Gliedern. Lieber erzählte Marla das Ende der Geschichte, während sie standen.
Marla ordnete ihre Locken und sammelte sich. »Ich platzte in eine Opfergabe. Heather war schwanger. Das hatte ich nicht gewusst. Sie opferte ihren ungeborenen Fötus.« Sie biss auf die bebende Unterlippe, legte ihren Kopf auf das Lenkrad und weinte los.
O Gott. Anna stieß hart die Luft aus. Sie hatte ihr eigenes Kind umgebracht? Was war diese Heather für eine scheußliche Person? Sie strich über Marlas Rücken. Wie schrecklich musste das für sie gewesen sein, solch eine Widerlichkeit mit anzusehen? Das alles war zu hoch, um es zu begreifen. Sie schob die Gedanken von sich, schluckte die aufkeimende Übelkeit hinunter und wartete, dass Marla sich beruhigte. Still saßen sie im Wagen, bis Marla den Kopf hob und ihre Tränen trocknete.
»Ich rannte, so schnell mich die Füße trugen. Abgekämpft und verheult erreichte ich den Campus und lief einem jungen Mann direkt in die Arme. Er konnte fühlen, was ich fühlte, und unter Tränen erzählte ich ihm die ganze Geschichte.«
»Frank«, flüsterte Anna. So hatte Marla ihren Mann kennengelernt.
»Er half mir.« Marla rang sich ein Lächeln ab, aber die Erinnerung an ihn vermochte den Schmerz in ihren Augen nicht zu stillen. »Er hat mir immer geholfen. Noch am gleichen Tag fing er Heather ab und schaffte es, mit seinem Empathentalent auf sie einzuwirken. Heather bekam die Kurve bloß, weil er ihre Emotionen spürte und ihr half, das Verlangen sofort im Keim zu ersticken, wenn es aufflammte. Danach rührte Heather keine Magie mehr an. Selbst der Hexenkunst schwor sie ab, aus Angst, einen Rückfall zu erleiden. Ein Stück ihrer Seele starb wohl, als ihr klar wurde, was sie getan hatte.«
Die Erkenntnis schlug Anna mit einem Hammer ins Gesicht. Es lief ihr heiß und kalt den Rücken hinunter und sie verschaffte sich Luft, indem sie sich aus der Jacke schälte. Sie schnappte sich Marlas Hand und drückte sie fest, um nicht den Halt zu verlieren. »Du hast ihr unsere Familien anvertraut.« Eine Mörderin sollte auf ihre Liebsten achtgeben? Was hatte sich Marla nur dabei gedacht?
»Ja, das habe ich. Heather ist stark. Wenn einer unsere Familien beschützen kann, dann sie. Es ist viele Jahre her. Mach dir keine Sorgen, sie hat ihre Krankheit besiegt.«
Hoffentlich behielt Marla recht. Sich auch noch Sorgen um Paps, Mama und Sally machen zu müssen, würde das letzte bisschen Kraft kosten. Sie durfte nicht länger darüber nachdenken. Anna seufzte und bezwang das Flattern in ihrer Brust. Die Geschichte war
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