Teuflische Schwester
Er stieß Brett an.
»Schau dir das an«, flüsterte er. »Das … das sieht wie
Blut aus.«
Tom Mallory erblickte sie als erster. Unverzüglich lief er
auf sie zu. »Geht hier weg!« befahl er ihnen leise, aber in
einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. »Los,
weg. Macht keinen Mucks und keine hastigen
Bewegungen.«
Die Jungen sahen einander an. Brett wollte etwas sagen,
ließ es aber bleiben. Statt dessen packte er Kent am Arm
und wich mit ihm langsam zurück.
Melissa schien von diesem makabren Spektakel
überhaupt nichts mitzubekommen. Sie ging jetzt über die
Terrasse und hielt auf den Swimmingpool zu.
Mallory nahm die Jungen schon nicht mehr wahr. Er
huschte wieder zu Phyllis, um Melissa weiter zu folgen.
»Was sollen wir machen?« flüsterte Kent, während die
bizarre Prozession Melissa um den Swimmingpool herum
folgte.
»Ich bleib’ auf alle Fälle da«, erwiderte Brett. »Ich will
wissen, was da gespielt wird.«
So gingen sie weiter, wahrten aber gebührenden Abstand
zur Gruppe hinter Melissa. »Sie sieht unheimlich aus«,
flüsterte Brett im nächsten Augenblick. Melissa hatte sich
langsam und feierlich umgedreht und lief jetzt Richtung
Garage. »Kommt mir so vor, als würde sie
schlafwandeln.«
Melissa blieb vor dem alten Schuppen stehen. Zunächst
rührte sie sich überhaupt nicht mehr, dann streckte sie
langsam die Hand aus und stieß die Tür auf.
Drinnen schwirrten Fliegen über dem Boden. Durch die
offene Tür drang ein faulig stinkender Geruch nach
draußen.
Die anderen prallten unwillkürlich vor dem Gestank
zurück. Melissa dagegen ließ sich davon nicht
beeindrucken.
Sie trat ein.
Noch einmal hob sich ihre Hand.
Der Zeigefinger deutete auf die losen Dielen.
»Da«, sagte sie.
Das Wort schien in der Luft zu schweben. Dann
schlüpfte Tom Mallory hinein, kniete sich hin und hob ein
Brett an.
»Mein Gott«, flüsterte er erschüttert. Im ersten Schock
schloß er beide Augen, um den Anblick von Todds
zerfetzter Leiche unter dem Boden nicht weiter ertragen zu
müssen. Dann hatte er sich wieder unter Kontrolle und
erhob sich schwerfällig.
Ohne weiter auf Phyllis und Teri zu achten, ging er
direkt auf Cora zu und legte den Arm um sie. »Es ist
Todd«, sagte er leise. »Es tut mir leid, Cora. Es tut mir
entsetzlich leid.«
Er wandte sich ab und stakste auf das Haus zu. In
Gedanken teilte er bereits die Leute für die
Spurensicherung ein.
Viel blieb ihnen freilich nicht mehr zu tun.
Melissa hatte ja schon gestanden.
27
Burt Andrews parkte seinen BMW in einer engen Lücke
zwischen einem Polizeiauto und einem Krankenwagen.
Vor Maplecrest standen noch drei weitere schwarzweiße
Streifenwagen sowie mehrere andere Fahrzeuge von
einem verschmutzten Volkswagen mit dem Aufkleber
PRESSE bis hin zu einem Rolls-Royce-Cabriolet mit New
Yorker Kennzeichen.
Andrews eilte unverzüglich durch die offene Tür in die
Vorhalle. Im ersten Moment beschlich ihn das
unheimliche Gefühl, das Haus sei trotz der vielen Wagen
davor leer. Dann fiel ihm eine Traube von Menschen auf
der Terrasse hinter dem Haus auf und weitere kleinere
Gruppen, die sich auf dem Rasen zwischen der Terrasse
und dem Swimmingpool drängten. Es kam ihm so vor, als
hätte sich bereits halb Secret Cove hier versammelt.
Gerade wollte er auf die Terrasse treten, da ließ ihn eine
Stimme von der Treppe innehalten.
»Doktor Andrews?«
Er sah auf. Eine große blonde Frau in weißer Bluse und
einem bunten Baumwollrock schaute zu ihm herunter.
Trotz des gräßlichen Ereignisses wirkte sie beherrscht. Sie
kam eilig die Treppe herunter. »Ich bin Lenore Van
Arsdale«, sagte sie und reichte ihm die Hand. »Ich bin mit
den Holloways befreundet.«
Andrews schüttelte ihr kurz die Hand und ließ sie
sogleich los. Sein Blick wanderte suchend die Treppe
hinauf. »Wo sind sie?«
»Phyllis ist in ihrem Zimmer. Teri ist bei ihr. Und
Melissa ist mit Doktor Chandler in der Bibliothek. Sie
wollten sie irgendwohin bringen. Aber dann hat Teri etwas
von Ihnen gesagt. Darum habe ich vorgeschlagen, daß vor
Ihrem Eintreffen nichts unternommen werden sollte.«
Andrews zog die Augenbrauen eine Spur hoch. Lenore
Van Arsdale entging diese Geste nicht. »Ich stehe im Ruf
der Unerschütterlichkeit«, sagte sie mit einem
angespannten Lächeln. »Heute wollte ich diesem Ruf
einmal gerecht werden.« Das Lächeln erstarb. »Melissa
steht anscheinend unter Schock. Ich glaube nicht, daß sie
überhaupt ahnt, was geschehen
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