Teuflische Schwester
und würde Cora
verletzen, denn die habe sich solche Mühe mit dem
Kochen gegeben.
Groß hockte das Steak vor ihr auf dem Teller. Es schien
unter ihren Augen noch zu wachsen. Sie stach die Gabel
hinein, schnitt ein Stückchen ab und führte es zum Mund.
Beim Kauen hatte sie das Gefühl, ihre Kehle sei
zugeschnürt, und sie bekam Angst, sie müßte am Fleisch
ersticken. Schließlich brachte sie es doch hinunter und
nahm das nächste Stück in Angriff. Sie wagte einen
verstohlenen Blick über den Tisch. Alle anderen waren
fertig. Ihr Vater legte soeben Messer und Gabel auf den
Teller und wischte sich genüßlich den Mund ab. »Habt ihr
Lust, ins Kino zu gehen?« fragte er und lächelte Melissa
an.
Instinktiv schossen Melissas Augen zu Phyllis hinüber.
Einen kurzen Augenblick durfte sie trotz allem auf einen
schönen Abend hoffen. Aber als ihre Blicke sich trafen,
wußte sie, daß ihre Mutter ihr noch nicht vergeben hatte.
Aber was hatte sie bei Bretts Lagerfeuer schon zu suchen?
Teri wollten sie dabei haben, nicht sie. Warum sollte Teri
dann nicht allein hingehen?
Die Stimme ihrer Mutter riß sie aus den Gedanken.
Sofort spürte sie einen eisigen Angstknoten im Magen.
»Warum gehst du nicht mit Teri?« wandte sich Phyllis
an Charles. »Ihr zwei habt bis jetzt kaum etwas allein
unternehmen können. Und was Melissa und mich betrifft,
stelle ich es mir sehr schön vor, wenn wir den Abend für
uns hätten. Wir zwei ganz allein.«
Melissa sah ihrem Vater flehentlich in die Augen.
»Kann ich nicht mitgehen? Bitte.«
Charles kam zu keiner Antwort. Phyllis sprach schon
wieder, diesmal an Melissa gerichtet:
»Melissa, du bist wirklich sehr, sehr egoistisch! Du
nimmst deinen Vater nur immer für dich in Beschlag.
Vergiß bitte nicht, daß er auch Teris Vater ist. Außerdem
werden wir einen wunderschönen Abend miteinander
verbringen.« Bei den letzten Worten lächelte sie, doch der
stechende Blick sprach eine andere Sprache.
Melissa wußte, daß Diskutieren und Betteln keinen
Zweck hatten. Damit machte sie alles nur schlimmer, als
es ohnehin schon war. Wenn Teri und ihr Vater erst
einmal außer Haus waren …
Sie verscheuchte den Gedanken. Statt dessen
konzentrierte sie sich auf den Teller vor sich.
Ihre Mutter fuhr auch schon wieder unbarmherzig fort.
Zahllose Male hatte Melissa diese Mahnung bereits
gehört: »Außerdem hast du deinen Teller noch nicht
leergegessen. Du kennst doch die Regel. In unserem Haus
wird gegessen, was auf den Tisch kommt, egal ob es
schmeckt oder nicht. Wer die Manieren nicht beherrscht,
ist selbst schuld, wenn er nicht in gute Häuser eingeladen
wird.«
Melissa versuchte, nicht hinzuhören und stocherte
wieder auf ihrem Teller herum. Sie schnitt das Steak in
möglichst kleine Stücke und zwang sie eins nach dem
anderen hinunter. Als ihr Vater sich zu einem
Abschiedsküßchen über sie beugte, hätte sie am liebsten
geweint, kämpfte aber die Tränen nieder.
»Deine Mutter hat recht«, murmelte er ihr ins Ohr. »Ich
würde auch lieber nicht essen, wenn ich keinen Hunger
habe, aber es ist unhöflich, den Teller stehen zu lassen.«
Er gab ihr einen aufmunternden Klaps. Sie wollte sich an
ihn klammern, damit er nicht ohne sie ging. Doch es hätte
ihr nicht geholfen.
Ihre Mutter wollte es anders, und da halfen auch nicht
die besten Argumente. Damit machte sie alles nur noch
schlimmer. Zwanzig Minuten später hatte sie unter den
wachsamen Blicken ihrer Mutter den Teller endlich
leergegessen. Die anderen Teller standen noch immer auf
dem Tisch. Sie mußte abräumen und dann Cora beim
Geschirrspülen helfen. Aus Furcht, sie würde ihre Mutter
mit den falschen Worten noch mehr reizen, erhob, sie sich
schweigend.
»Was sagt man?« herrschte Phyllis sie auf der Stelle an.
Melissa erstarrte. Dann fiel es ihr wieder ein. »Wenn ich
mich bitte entschuldigen darf …«
Phyllis entließ sie mit einem knappen Nicken. Erleichtert
stapelte Melissa die Teller aufeinander. Cora, die den Rest
bereits abgewaschen hatte, nahm sie ihr ab. »Na, das
Essen war heute wohl etwas mißlungen?« meinte sie
versöhnlich.
»Es war vorzüglich, Cora. Ich war nur nicht sehr
hungrig.«
»Ich weiß, wie das ist«, seufzte Cora, während sie die
Teller in die Spüle legte. »Es gibt Tage, da dreht sich mir
der Magen schon beim bloßen Gedanken ans Essen um.
Wenn der Körper etwas nicht will, soll man ihn auch nicht
dazu zwingen.«
Cora machte sich ans Spülen, und Melissa
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