Teuflische Schwester
Enttäuschung. Sie beugte sich
abrupt vor. »Gib eine Antwort!« schrie sie. »Warum gibst
du mir keine Antwort?«
Melissa blieb still. Regungslos saß sie vor dem
Schminktisch und starrte aus ausdruckslosen Augen in das
Bild im Spiegel.
»Na gut«, rief Phyllis. Ihre Fingernägel vergruben sich
wieder tief in Melissas Schultern. »Du mußt nicht, wenn
du nicht willst. Aber du hörst mir jetzt gut zu, junge
Dame. Wenn du den Rest deines Lebens allein für dich
verbringen willst, soll es mir auch recht sein. Aber ich
werde nicht dulden, daß du zu meinen Freundinnen oder
ihren Kindern unverschämt bist. Hast du mich
verstanden?«
Melissa sagte kein Wort. Mit keiner Regung gab sie zu
erkennen, ob ihre Mutter zu ihr durchgedrungen war.
Phyllis’ Fingernägel verkrallten sich noch tiefer in
Melissas Fleisch. »Ich weiß, daß du mich hörst, Melissa.
Stell dich ja nicht taub. Ich werde nicht dulden, daß du
Teris Leben genauso ruinierst wie dein eigenes und wie du
es bei mir versuchst. Ob du es willst oder nicht, du gehst
morgen zum Lagerfeuer. Es war sehr nett von Mrs. Van
Arsdale, daß sie dich eingeladen hat. Und du wirst sie
nicht beleidigen, indem du zu Hause bleibst. Du wirst die
ganze Zeit freundlich und höflich sein und mich mit
keinem Wort blamieren. Sag jetzt, daß du mich verstanden
hast.«
Melissa starrte still und regungslos weiter in den
Spiegel.
»Also gut, Melissa!« zischte Phyllis. »Wenn du störrisch
bleiben willst, soll es mir auch recht sein.« Sie riß Melissa
hoch und schleifte sie durch den ganzen Raum zur
Kammer. Mit einer Hand machte sie die Tür auf, dann
stieß sie Melissa hinein, schlug die Tür zu und sperrte ab.
»Du hast jetzt Zeit zum Nachdenken«, rief sie durch die
Tür. »In einer Stunde komme ich wieder. Vielleicht bist
du bis dahin zur Vernunft gekommen.«
Sie wollte aus dem Zimmer stürmen, doch da fiel ihr
Blick auf Melissas abgetragene Sachen. Sie waren auf
dem Boden liegengeblieben, wo Melissa sie ausgezogen
hatte. Sie packte die Schere und schnitt die verhaßten
Stücke in kleine Fetzen, dann schleuderte sie sie auf das
Bett.
Endlich hatte sie ihre Wut abreagiert und verließ das
Zimmer.
Teri und Charles kamen kurz vor zehn Uhr vom Kino
zurück. Unten brannte nur das Licht in der Vorhalle.
Phyllis lag bereits im Bett und las. Lächelnd legte sie das
Buch beiseite, als die zwei ins Schlafzimmer kamen.
»Na, Teri, wie war der Film?«
»Super! Es war ein Horrorfilm. Ich hab’ im ganzen
Leben noch nicht soviel Angst gehabt. Aber ich hab’s
ausgehalten. Daddy dagegen ist irgendwann raus
gegangen.«
Charles schnitt eine Grimasse. »Irgendwie liegt es mir
nicht, wenn Leute mit Macheten aufgeschlitzt werden.
Aber Teri war ganz begeistert.«
»Gott sei Dank habe ich Melissa nicht mitgehen lassen«,
bemerkte Phyllis. »Sie hätte in vier Wochen noch
Alpträume.«
Charles blickte auf die Uhr. »Ist sie schon im Bett?«
Phyllis nickte. »Wir haben uns ein bißchen unterhalten.
Wir haben ein sehr schönes kleines Gespräch geführt und
sind dann früh ins Bett gegangen. Melissa ist, glaube ich,
schon um neun Uhr eingeschlafen.«
Sie plauderten noch ein bißchen miteinander, dann
verabschiedete Teri sich mit einem Gutenachtkuß und
ging auf ihr Zimmer. Vor dem Spiegel bewunderte sie
noch einmal die neuen Sachen. Schließlich zog sie sich
aus, hängte Rock und Bluse säuberlich auf den Bügel und
verschwand im Badezimmer. Sie wollte gerade den
Wasserhahn aufdrehen, da hörte sie Melissas Stimme.
»Was soll ich nur tun, D’Arcy? Was wird Mama nur
wieder sagen? Bestimmt wird sie wieder furchtbar böse.«
Teri preßte das Ohr gegen die Tür und lauschte. Die
Worte waren noch vernehmbar, aber nicht mehr zu
verstehen. Es hörte sich wie Weinen an.
Teri blieb unschlüssig stehen. Vielleicht tat sie am
besten so, als wäre nichts und legte sich einfach schlafen.
Und doch hatte sie eindeutig den Namen D’Arcy gehört,
derselbe, der in Melissas Tagebuch gestanden hatte.
Redete Melissa am Ende mit jemandem, den es gar nicht
gab? Entschlossen drückte Teri die Tür auf und trat ein.
Es war dunkel. Melissa saß vor dem Schminktisch und
starrte in den Spiegel. Als der Lichtstrahl aus dem
Badezimmer auf sie fiel, wandte sie den Kopf. Ihre Augen
weiteten sich.
»Warum seid ihr schon zu Hause?« wollte sie wissen.
»Wart ihr gar nicht im Kino?«
»Es ist doch schon nach zehn. Der Film ist aus.«
Melissa warf verwirrt die Stirn in Falten. »Aber ihr
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