Teuflische Schwester
daran?«
Melissa schaute schweigend zu Boden. Phyllis trat näher
heran, und Melissa drückte sich fester gegen das Bett.
»Wer?« bohrte Phyllis nach.
»Ich.« Es klang wie das letzte Piepsen eines sterbenden
Vogels. Schließlich sah Melissa zu ihrer Mutter auf. »Ich
bin schuld, Mama.« Die Worte sprudelten auf einmal aus
ihr heraus. »Ich esse zuviel, ich esse immer das Falsche
und ich lese auch zuviel. Ich sollte mehr mit den anderen
im Club spielen.«
»Und warum tust du das nicht?« setzte Phyllis nach.
»Warum tust du nie das, was die anderen tun? Warum
muß ich mich immer deinetwegen schämen?«
»Ich … ich weiß nicht!« heulte Melissa. Die Tränen
ließen sich nun nicht mehr zurückdrängen. Sie wollte sich
nur noch aufs Bett werfen, sich einigeln und die Welt
nicht mehr an sich heranlassen. Aber das ging nicht.
Nicht jetzt.
Noch nicht.
Sie mußte bleiben, wo sie war, ihrer Mutter weiter
standhalten und sich nach Möglichkeit nicht allzusehr
verletzen lassen.
Hilf mir! schrie sie in sich hinein. Hilf mir, D’Arcy! Laß
mich nicht im Stich! Bitte!
»Hol die neuen Sachen aus der Kammer, Melissa!«
befahl Phyllis. Mit einem weiteren stillen Hilfeschrei an
D’Arcy schlich Melissa zur Kammer. Auf Geheiß ihrer
Mutter nahm sie die neuen Sachen heraus und legte sie
aufs Bett.
»Die weißen Shorts«, befahl Phyllis. »Zieh die weißen
Shorts und die grüne Bluse an.«
Mit heftig klopfendem Herzen zog Melissa ihre alten
Sachen aus und zwängte sich in die weißen Shorts. Die
Bluse war zu eng. Es dauerte, bis sie sie endlich über den
Kopf gestreift hatte.
»Schau dich jetzt im Spiegel an.«
Melissa zögerte. Sie wußte ja, wie sie in diesen Sachen
aussah. Beides hatte sie schon zweimal anprobiert, erst im
Geschäft und dann noch einmal zu Hause.
Was immer andere davon halten mochten – für sie stand
fest, daß diese Kleider scheußlich waren.
In den hellen Farben sah sie aus wie eine Witzfigur. Und
der Schnitt machte sie nur dicker, als sie war.
»Schau hin«, befahl Phyllis.
Sie stellte sich hinter ihre Tochter. Ihre Finger schlossen
sich um Melissas Schultern, und sie schüttelte sie vor dem
Spiegel hin und her.
»Schau dich an!« wiederholte sie.
Melissa stöhnte vor Schmerz auf. Die Fingernägel ihrer
Mutter vergruben sich immer tiefer in ihrem Fleisch.
Plötzlich hörte sie D’Arcys Stimme dicht an ihrem Ohr.
Es ist gut, Melissa. Du kannst jetzt einschlafen.
Ihre Mutter schüttelte sie weiter, bis sie den Kopf hob
und in den Spiegel sah.
Statt des eigenen Gesichts blickten sie die sanften Augen
von D’Arcy an. Sie lächelte ihr zu. Das Spiegelbild beugte
sich vor, streckte die Hand nach ihr aus. Zärtlich strichen
ihr D’Arcys Finger über die Wangen. Sie schloß die
Augen, und ihre Freundin wischte ihr die Tränen aus dem
Gesicht. Ihre Hand fühlte sich so angenehm kühl an.
Um Melissa schloß sich die vertraute Dunkelheit. Die
letzten Worte, die sie vor dem Einschlafen hörte, kamen
von D’Arcy. Du kannst jetzt schlafen. Ich bin da und
passe auf dich auf. Du brauchst dich um nichts mehr zu
kümmern. Schlaf schön.
Phyllis spürte nicht mehr soviel Widerstand unter den
Händen. Sie lockerte den Griff um Melissas Schultern.
»Und? Sag mir, was du siehst!«
Melissa gab keine Antwort. Phyllis’ Zorn schwoll
wieder an. »Schau dich doch an!« kreischte sie. Ihre
Finger krallten sich wieder tief in Melissas Schultern, und
sie schüttelte sie noch wütender.
Melissas Kopf flog hin und her, aber so weh es ihr auch
tun mußte, Melissa gab keinen Laut von sich.
»Du siehst furchtbar aus!« zischte Phyllis. »Du bist fett,
du bist häßlich, und das ist dir auch noch egal! Mein Gott,
wie kann so etwas meine Tochter sein?«
Phyllis schleifte ihre Tochter fort vom Spiegel und
schleuderte sie auf den Stuhl vor dem kleinen
Schminktisch. »Du könntest genauso gut aussehen wie
Teri, wenn du es nur versuchen würdest. Aber schau dich
nur an! Dein Haar ist eine einzige Schande!«
Sie riß die oberste Schublade auf. Dort lag nur eine
Schneiderschere. Im nächsten Moment hatte sie sie in der
Hand. Wahllos packte sie Haarbüschel ihrer Tochter und
zerrte und riß eher, als daß sie schnitt. Melissa sah
eigentümlich unbeteiligt zu. Langsam fiel ihr Haar um sie
herum zu Boden, bis nur noch ein verunstalteter Bubikopf
übrigblieb.
»Da!« keuchte Phyllis. »Schau dich an! Ist das nicht
besser? Sag!«
Melissa gab kein Wort von sich. Phyllis zitterte am
ganzen Leib vor Wut und
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