Teuflische Schwester
seid
doch eben erst gegangen. Ich meine, es kommt mir wie
höchstens eine Stunde vor.«
Teri trat auf sie zu. Beim Anblick der entstellten Frisur
ihrer Halbschwester riß sie entsetzt die Augen auf. Hastig
knipste sie die Nachttischlampe an.
»Wie ist denn das passiert?« flüsterte sie. »Was hast du
mit deinem Haar getan?«
Melissa sah ängstlich zu Teri auf. Ihre Augen
schwammen in Tränen. »Ich … ich weiß auch nicht. Es
muß wohl D’Arcy gewesen sein.«
»D’Arcy? Wer ist D’Arcy?«
Melissa erstarrte. Ihr Blick flackerte zur Tür hinüber. Sie
war geschlossen. Melissa schien sich etwas zu beruhigen.
»Versprichst du mir, daß du nichts weitersagst?«
Teri nickte hastig. Sie konnte es vor Spannung kaum
aushalten.
»Sie … sie ist eine Freundin. Manchmal kommt sie und
hilft mir.«
Teri zog verwirrt die Augenbrauen hoch. Wovon auf
aller Welt redete Melissa da? »Ich versteh’ nicht. Woher
kommt sie? Lebt sie hier in der Gegend?«
Melissa schüttelte den Kopf. »Ei-eigentlich nicht. Sie …
na ja, sie ist so was wie eine eingebildete Freundin. Weißt
du, wie die in dem Buch über Anne Gables, die im Spiegel
gelebt hat?«
Plötzlich lächelte Teri. »Ich weiß, was du meinst. Als
kleines Mädchen hatte ich auch so eine Freundin. Sie hieß
Caroline. Ich habe immer so getan, als wäre sie meine
Zofe. Sie hat alles getan, was ich ihr befohlen habe. Sie
hat mein Zimmer aufgeräumt und geputzt, alles eben,
wozu ich keine Lust hatte. Ich habe einfach so getan, als
wäre ich sie, und dann war die Arbeit viel leichter.«
Melissa nickte aufgeregt. »Genau so eine Freundin ist
D’Arcy. Wenn ich Angst kriege, kommt sie mir immer zur
Hilfe.« Ihr Blick wanderte wieder auf den Spiegel. »Aber
schau dir nur an, was sie heute angestellt hat.« Ihre
Stimme zitterte plötzlich vor Angst. »Sie hat mir die Haare
abgeschnitten. Mama wird toben, wenn sie das sieht.«
Eine ganze Serie von Bildern raste an Teris innerem
Auge vorbei.
Am Nachmittag hatte Phyllis angedeutet, daß sie sich
mit Melissa noch über Bretts Lagerfeuer unterhalten
wollte.
Einen kurzen Augenblick hatte Melissa vor Entsetzen
die Augen aufgerissen.
Und das gleiche war wieder passiert, als Phyllis beim
Abendbrot gesagt hatte, sie würde gern den Abend allein
mit Melissa verbringen.
Melissa hatte panische Angst bekommen.
Ihre Mutter hatte ihr heute abend diese Angst eingejagt.
Mein Gott, tut sie einfach so, als wäre sie eine andere,
wenn ihre Mutter sie anschreit?
Und dann schoß ihr noch etwas in den Sinn.
Neulich war Melissa doch an ihr Bett gefesselt gewesen.
Ihre Augen waren weit aufgerissen, und Teri war
überzeugt, daß sie nicht geschlafen hatte. Aber als sie sie
angesprochen hatte, hatte Melissa nicht reagiert.
Und heute glaubte sie, Teri sei gar nicht ins Kino
gegangen.
Sie kann sich nicht mehr erinnern, sagte sich Teri. Sie
kann sich an nichts mehr erinnern.
Während sie auf Melissas Spiegelbild starrte, machte
sich ein liebevolles Lächeln auf ihrem Gesicht breit.
»Weißt du was?« schlug sie vor. »Wir nehmen uns eine
Schere, und ich schau mal, ob ich dir die Haare nicht ein
bißchen schöner schneiden kann. Und wenn Phyllis
morgen sauer wird, sagen wir ihr einfach, es wäre meine
Idee gewesen. Dann kann sie nichts dagegen machen,
oder?«
Ihre Blicke begegneten sich im Spiegel. »Und das
würdest du wirklich für mich tun?« hauchte Melissa.
Teri legte den Arm um Melissa. »Aber sicher. Ich bin
doch deine Schwester. Sind Schwestern nicht für so was
da?«
In der Schublade fand sie einen Kamm und die Schere
und machte sich daran, Melissa die Haare
geradezuschneiden, so gut sie es vermochte. Die ganze
Zeit verfolgten Melissas bewundernde Blicke im Spiegel
jede ihrer Bewegungen. Ihr Lächeln erstarb aber, sobald
Teri Schere und Kamm beiseite legte.
»Was werden nur die anderen morgen abend sagen?«
klagte sie. »Mit dem Haarschnitt werden sie mich doch
alle auslachen!«
Teris Gesicht war ein einziges Fragezeichen. »Ich
dachte, du wolltest nicht zum Lagerfeuer gehen?«
Langsam schüttelte Melissa den Kopf. »Ich hab’s mir
anders überlegt. Mir blieb keine andere Wahl. D’Arcy hat
Angst im Dunkeln, und Mama läßt sie nur aus der
Kammer, wenn ich hingehe.«
Als sie sich zwanzig Minuten später ins Bett legte, wußte
Teri genug über D’Arcy.
Nur war sie sich noch nicht richtig im klaren darüber,
wie sie D’Arcy für ihre Zwecke benutzen sollte. Aber da
würde ihr schon noch etwas einfallen.
Was
Weitere Kostenlose Bücher