Teuflische Stiche
Leiter.
***
Auch für einen Polizisten war es schwer, um das Evangelische Krankenhaus herum einen Parkplatz zu finden. Zuletzt stellte Konnert seinen Dienstwagen genervt am Rand der Ausfahrt der Freiwilligen Feuerwehr in der Auguststraße ab. Die Wachzüge waren seit vergangenem Monat abgezogen. Die Halle stand leer. Es wird schon keine Politesse vorbeikommen, hoffte er mit schlechtem Gewissen.
Als er im Steinweg bei Hartmann Bestattungen vorbeikam, sah er Geiger vor dem Evangelischen Krankenhaus stehen. Bettelt der hier? Will er einen Patienten besuchen? Konnert trat einen Schritt zurück und beobachtete das Geschehen auf dem Vorplatz. Geiger blickte um sich, als erwarte er jemanden oder wüsste nicht, was er als Nächstes tun sollte. Er machte einen Schritt in Richtung automatischer Tür, stoppte, ging zur Seite und betrachtete nachdenklich seine Schuhe.
Es könnte eine gute Gelegenheit sein, mich von Geiger über die Herstellung von Medikamenten unterrichten zu lassen, dachte Konnert. Gerade als er hinübergehen wollte, entdeckte Geiger ihn und verschwand eilig in die Kleine Straße. Ich treffe ihn ja morgen im Backshop wieder, tröstete sich Konnert.
Dem freundlichen Mitarbeiter der Information zeigte Konnert seinen Ausweis, fragte nach Sibelius von Eck und erntete ein Kopfschütteln. »Von Eck ist kein Patient in unserem Haus. Tut mir leid.«
» Dann Klaus Stelzig, bitte.«
Man nannte ihm die Zimmernummer, und er freute sich, dass Stelzig nicht mehr auf der Intensivstation lag. Vor dem Aufzug warteten Besucher mit Blumensträußen in den Händen und Reisetaschen zwischen den Füßen. Es gab wohl noch andere Menschen, die wie er keinen Sport trieben und lieber Fahrstühle benutzten, als Treppen hinaufzusteigen.
Im Krankenzimmer standen drei Betten. Ein unter der Decke hängender Fernseher lief. Der Ton war abgeschaltet. Im mittleren Bett saß ein Patient halb aufgerichtet mit einem kleinen Lautsprecher am linken Ohr. Stelzig lag am Fenster. Konnert grüßte, zog einen Stuhl neben ihn, um dann zu erschrecken. Die Handgelenke hatte man Stelzig mit breiten Lederriemen am Bettgestell fixiert. Im rechten Handrücken steckte eine mit weißem Pflaster befestigte Kanüle, die über einen Schlauch mit einer Infusionsflasche verbunden war. Eine aus Pappe gepresste Spuckschale befand sich in der Ablage des Nachtschranks. Reglos lag der Patient mit geschlossenen Augen da wie tot. Die gelbliche Gesichtsfarbe ließ nichts Gutes ahnen.
» Der reißt sich den Schlauch immer wieder ab«, dröhnte der Nachbar. »Wenn ihn einer anfasst, schlägt er um sich. Jetzt ist er gerade mal ruhig.«
» Herr Stelzig, ich bin es, Adi Konnert.«
Keine Reaktion.
» Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen. Es ist wichtig, auch für Sie, dass Sie mir antworten.«
Keine Reaktion.
» Wie geht es Ihnen?«
Keine Reaktion.
» Man hat Sie von der Intensivstation hierher verlegt. Die akute Gefahr scheint vorbei zu sein.«
Keine Reaktion.
» Nun gut. Erzählen Sie mir, was am Freitag der vergangenen Woche passiert ist. Sind Sie in Ihrer Wohnung gewesen, als Frau Dreher gestorben ist?«
Die Augenlider zuckten leicht. Sonst war das Gesicht wie in gelben Sandstein gemeißelt.
» Oder ist sie schon tot gewesen, als Sie nach Hause gekommen sind?«
Konnert wartete vergeblich auf eine Antwort. Er überlegte, ob er es wagen sollte, Stelzig anzufassen, um ihn herauszufordern. Nein, Respekt, verordnete er sich.
» Der redet nicht. Auch nicht, wenn ihn der Arzt etwas fragt oder die Schwester wissen will, was er essen möchte. Er sagt einfach nichts. Der gehört nach Wehnen zu den Bekloppten.«
Mit einem Griff an seine Nasenwurzel reagierte Konnert. Könnte es möglicherweise sinnvoll sein, stur zu warten, bis Stelzig doch noch auf seine Fragen eingehen würde. Jetzt nicht, sagte ihm eine innere Stimme.
» Ich gehe wieder. Der Stationsleitung werde ich auftragen, mich zu benachrichtigen, bevor man Sie entlässt. Vielleicht möchten Sie dann mit mir sprechen.« Er erhob sich. Der Stuhl schrammte über den PVC-Boden und stieß gegen die Heizung.
Stelzig schlug die Augen etwas auf. Sein glasiger Blick suchte den des Kommissars. Resignation meinte Konnert in ihm zu erkennen. Die Lippen bewegten sich. Konnert hatte nichts verstehen können. Die Lider senkten sich.
» Wiederholen Sie das bitte noch einmal.« Konnert beugte sich herunter.
» Warum?«, kam es über die fahlen Lippen.
» Warum was?«
Keine Reaktion.
***
Im
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