Teuflische Stiche
Aachen erhalten, dass von ihr eine Exhumierung angeordnet und umgehend vollzogen worden ist, weil die Feiertage bevorgestanden haben. Ermittlungsergebnisse werden mir angekündigt, und ich muss am Telefon so tun, als interessiere ich mich dafür. Ich frage verklausuliert nach, wann der Antrag eingegangen sei, und bekomme zur Antwort: Ein Oberkommissar Venske habe seinen Kollegen vom K11 in Aachen mitgeteilt, dass in Oldenburg eine Person aufgetaucht sei, die nach Aktenlage in Aachen beerdigt worden sei. Er habe Aktenkopien bekommen und am 28. März gefragt, ob die Kollegen eine Exhumierung beantragen könnten. Da es außerordentlich dringlich erschien und sie auch ein gewisses Interesse an dem Fall entwickelt hätten, sei man ausnahmsweise auf diese Vorgehensweise eingegangen. Und dann will man noch in spitzem Ton von mir wissen, ob das in Niedersachsen so üblich sei. Meinen Sie, das war angenehm für mich?«
» Sicherlich nicht. Aber …«
» Lassen Sie mich ausreden! Außerdem habe ich mir noch eine Belehrung anhören müssen. Solche Anträge könnten nicht an Beamte der Kriminalpolizei delegiert werden, sondern müssten vorschriftsgemäß von der Staatsanwaltschaft selbst gestellt werden. Und bei jedem Wort höre ich die Ironie und süffisante Spitzen heraus, ich wäre ja wohl eindeutig unfähig, meinen Dienst ordnungsgemäß zu erledigen. Ordnungsgemäß!«
Konnert hielt ihr die Kanne hin. Ungehalten wischte sie mit der Hand in der Luft herum. Wehmeyer nickte, Konnert schenkte ihm ein und schob dann das Milchkännchen über den Tisch.
» Das schert Sie beide wohl nicht.« Ihre Augen funkelten.
» Doch, Frau Lurtz-Brämisch, das interessiert mich. Und es tut mir auch leid, auf welche Weise Sie von diesem Vorgang Kenntnis erhalten haben, aber …«
» Da gibt es kein Aber, und da gibt es keine Entschuldigung. Ich hatte eindeutig angeordnet …«
» Ja, genau«, jetzt fuhr Konnert ihr über den Mund. »Sie ordnen an, und wir sollen parieren. Kadavergehorsam nennt man das. In den Dienststellen hier ist das nicht mehr üblich. Wir sind verantwortliche, mitdenkende Beamte. Und in Aachen arbeiten Kollegen, die ebenso eigenständig und sorgfältig tun, was vernünftig und notwendig ist, um einen Verdachtsfall aufzuklären.«
» Deshalb können Sie doch keine Dienstwege umgehen.«
» Das haben Sie doch eben erlebt.« Und etwas milder fügte er an: »Es kann doch auch nicht in Ihrem Interesse sein, wenn wir stur Dienst nach Vorschrift schieben und gegen unsere Einsicht und Erfahrung handeln.«
Wehmeyers Blick pendelte zwischen Konnert und der Staatsanwältin. Dabei schwappte ihm Kaffee über den Tassenrand. Zum Trinken kam er nicht.
» Und was Ihren Vorwurf betrifft, ich wüsste nicht, was hinter meinem Rücken vorgeht, stimme ich Ihnen zu. Niemand weiß, was hinter seinem Rücken unternommen wird. Was hingegen Aachen angeht, war ich es, der Oberkommissar Venske gebeten hat, mit den Kollegen zu sprechen und irgendwie eine Exhumierung möglich zu machen.«
» Aber das darf nicht sein«, ein weinerlicher Ton mischte sich mit einem Mal in ihre Stimme.
» Da haben Sie Recht, Frau Staatsanwältin. Und bei einer ähnlichen Situation werde ich mich in Zukunft an Sie wenden. Hoffentlich sind meine Argumente dann gut genug, um Ihre Zustimmung zu bekommen.«
In sich gekehrt saß Dorothee Lurtz-Brämisch jetzt da. Kriminaloberrat Wehmeyer bekam endlich die Tasse an die Lippen und trank. Konnert fummelte seine Uhr aus der Hosentasche und zog die rechte Augenbraue hoch. »Ich sollte dann mal wieder gehen. Aber vielleicht dieses schon mal als mündliche Information. Ergebnisse der Kriminaltechnik und des Instituts für Rechtsmedizin lassen nur noch diesen Schluss zu: Bei Renate Dreher muss es sich um fahrlässige Tötung oder vorsätzlichen Mord handeln.«
Dass sie eine zweite Wohnung von Stelzig gefunden hatten, verschwieg er.
***
Die Speisekarte war ein eingeschweißtes, auf beiden Seiten bedrucktes DIN-A5-Blatt. Geiger drehte es in seinen Händen. Mal sah er sich die Getränke an, mal die Speisen. Für die bescheidene Einrichtung der Gaststätte hatte er keinen Blick. Er beachtete die drei Männer nicht, die an der Theke standen und schweigend Bier und Korn tranken. Ein älteres Pärchen unterhielt sich leise an einem Tisch im hinteren Teil des Gastraumes und aß Pommes von einem gemeinsamen Teller. Aus unsichtbaren Lautsprechern quoll der beste Mix für Niedersachsen von FFN. Die Wirtin schaute durch die
Weitere Kostenlose Bücher