Texas
alter Mexikaner erklärte ihnen, warum die Leute so große Angst vor Nacogdoches hatten: »Vor langer Zeit gab es eine große, bedeutende Siedlung jenseits des Flusses in Louisiana. Sie hieß Los Adaes und war damals die Hauptstadt von ganz Tejas. Und eines Tages kommt da dieser Barón de Ripperdá aus Spanien und stellt fest, daß die Bürger von Los Adaes mit den Franzosen in New Orleans Handel treiben. Und warum auch nicht? In der ganzen Gegend gab es keine Spanier, mit denen man Handel treiben konnte. Doch er wurde so zornig, daß er mit Los Adaes Schluß machte. Er hat die Stadt einfach ausradiert. Die Priester haben nichts getan, um Los Adaes zu helfen. Alle hatten Angst vor Barón de Ripperdá. Und wissen Sie, was? Erzähl es ihnen, Christopher!«
Christopher, ein gesprächiger Farmer, beeilte sich, seiner Empörung Luft zu machen: »Wißt ihr, wer heute in Nacogdoches das Sagen hat? Barón de Ripperdás Neffe! Er will Ayish Bayou den Garaus machen, so wie es sein Onkel mit Los Adaes gemacht hat.« Er spuckte aus.
»Bei diesem neuen Ripperdá«, riet einer der Siedler Quimper, »gibt es nur eines: Ihr müßt zu allem, was er so von sich gibt, ja sagen.«
Als die vier Reisenden nach Nacogdoches kamen, erlebten sie zwei Überraschungen: Die kleine Siedlung war eine richtige Stadt mit einem Laden und einem Gasthof. Und Victor Ripperdá, bei dem Vater Clooney vorstellig wurde, war ganz anders, als die Bewohner von Ayish Bayou ihn beschrieben hatten. Der Priester sah sich einem mageren jungen Mann mit einem kleinen Schnurrbart und einem gewinnenden Lächeln gegenüber. Er war höflich und erledigte seine Regierungsgeschäfte mit größter Sorgfalt. »Eines aber möchte ich von Anfang an klarstellen: Ich bin nicht der Alcalde. Ich bin ein Major der mexikanischen Armee und sichere die Grenze, solange der Alcalde abwesend ist. Er ist einer von euch Norteamericanos. Aus Pennsylvania.«
Ripperdá bot Clooney ein Glas Wein an und fragte: »Was hat man Ihnen denn alles über mich erzählt, als Sie nach Tejas kamen?«
»Sie erzählten mir von Ihrem Onkel, von der Vertreibung.«
Ripperdá lachte. »Was die für Lügen erzählen! Mein Onkel hatte nur wenig mit dieser traurigen Geschichte zu tun. Es war der Marques de Rubi, der traf die Entscheidung, und mein Onkel mußte ihre Durchführung erzwingen. Wir sind so froh, daß Sie da sind, Vater Clooney«, fuhr er fort. »Sie kommen in ein Land, das dringend Ihrer Fürsorge bedarf.«
»Ich bin stolz, einen so großen und bedeutenden Pfarrbezirk zu haben! Herr Kommandant, darf ich Ihnen jetzt meine Reisegefährten vorstellen? Sie haben eine Bitte.«
Als die Quimpers mit ihren Papieren vor ihm erschienen, weigerte er sich jedoch, die Dokumente auch nur anzusehen oder der Familie gar Land zuzuteilen: »Sie haben kein Anrecht darauf, und ich habe keine Befugnisse. In Ihrem eigensten Interesse rate ich Ihnen: Gehen Sie wieder nach Hause.«
»Aber das Gesetz.«
»Meine Instruktionen sagen mir, was das Gesetz ist.« Peinlich darauf bedacht, die Anstandsformen einzuhalten, bezog er sich immer wieder auf ein mysteriöses, in der Hauptstadt verabschiedetes Gesetzeswerk. Victor Ripperdá hatte gelernt, daß er, wenn er auf seinem Posten in Nacogdoches keinerlei Entscheidungen traf, unmöglich in
Schwierigkeiten geraten konnte; deshalb weigerte er sich in weiser Voraussicht, Rechtstitel für Grund und Boden auszustellen, eine Kirche für den neuen Priester zu bauen oder die Ansiedlung irgendwelcher Americanos zu billigen, von denen jetzt immer mehr über den Sabine kamen.
Wenn amerikanische Siedler nach Westen gingen, genossen sie die Unterstützung einer stabilen Regierung in Washington und in den Hauptstädten der einzelnen Bundesstaaten. Sie hatten Anteil an einer aufblühenden Wirtschaft. Sie stießen auf Indianer, mit denen sie sich in den meisten Fällen friedlich einigen konnten. Sie waren begierig, sich gegen die Wildnis zu behaupten. Noch mehr aber fiel ins Gewicht, daß sie mit einer Vorstellung von Freiheit ins Land kamen, die sich auf ideale Weise zur Errichtung von selbstverwalteten Siedlungen in neuen Gebieten eignete.
Mexiko hatte entgegengesetzte Erfahrungen gemacht, insbesondere in Tejas, wo man es mit weitaus wilderen Indianerstämmen zu tun bekam. Mexiko war auf eine viel zu kleine Zahl spanischer Siedler angewiesen, die durch keine Neuzugänge vergrößert wurde. Seine Produktivkraft war beschränkt, und die Streitkräfte waren infolge von ständigen
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