THARKARÚN – Krieger der Nacht
Grabdenkmäler waren nicht nötig. So bestatteten die Druiden der Heiligen Erde ihre Toten und daher war es durchaus angemessen, wenn Zarak und Alfargus, ein König und ein Königssohn, auf dieselbe Weise ihre Ruhe fanden. Die Lebenden würden nicht mehr lange in der friedlichen Heimstatt der Druiden verweilen können. Bald würde der Krieg, der draußen weitertobte, sie wieder zu den Waffen rufen und ihre Hilfe und ihren Beitrag einfordern. Neue Straßen würden sich vor ihnen auftun. Dhannam würde in den Süden des Menschenreichs zum Tempel der Finsternis aufbrechen, vielleicht würde er auf seinem Weg zu einer neuen, reiferen Persönlichkeit werden und würde zwar verändert alle weiteren Ereignisse überleben, wer wusste das schon.
Allan Sirio verweilte nicht mehr lange bei den Gräbern und die kleine Trauergemeinde löste sich auf. Seine Füße trugen ihn in den Wald, wo er, ohne Ziel und ohne auf die Zeit zu achten, herumwanderte. Er musste wohl Stunden fort gewesen sein, denn es war schon nach Mittag, als er wieder auf dem weiten Platz vor den Häusern des Friedens erschien, der verlassen dalag.
Nur Elirion Fudrigus übte dort mit seinem Bogen und schoss auf Zielscheiben auf der entgegengesetzten Seite des Platzes. Er hatte sich nicht umgezogen und sein schwarzes Trauergewand betonte den Ausdruck der wütenden Entschlossenheit in seinem Gesicht. Die Haare fielen ihm in die Stirn, wenn er sich mit entschlossenem Blick einen neuen Pfeil aus dem Köcher angelte, dann fixierte er kurz das Ziel und spannte die Sehne. Die Augen
waren konzentriert, die Hand ruhig, die Lippen fest zusammengepresst. Eine Ader an seinem Hals pochte. Er zögerte nicht, wenn er den Pfeil losließ, und fast immer traf er ins Ziel. Dass er einen magischen Bogen führte, war allen bekannt. Aber gewöhnlich zeigten magische Waffen ihre Kräfte nur in Gegenwart eines echten Feindes, wenn das Leben ihres Besitzers in Gefahr war. Dieser Bogen allerdings schien eine Ausnahme zu machen.
Elirion legte seinen letzten Pfeil ein, zielte und schoss. Der Pfeil landete genau in der Mitte seines Ziels und blieb dort wippend stecken. Elirion ließ den Bogen sinken, warf ihn sich über die Schulter und ging dann auf die andere Seite des Platzes, um die Pfeile wieder einzusammeln. Einen nach dem anderen zog er mit derselben zielgerichteten Wut aus den Scheiben, mit der er sie vorher darin versenkt hatte. Nachdem er den letzten Pfeil entfernt hatte, wandte er sich zum Waldrand um und erblickte Sirio. Vielleicht hatte er seine Anwesenheit auch schon früher bemerkt, wollte sich aber nicht unterbrechen lassen. Der Druide kam auf ihn zu und Elirion ließ die Hand mit dem Pfeil sinken.
»Ich habe da gerade etwas sehr Interessantes gesehen«, sagte Sirio ungezwungen. »Abgesehen von der Wut, die Euch beseelt, Prinz Elirion, und die ebenso verständlich wie gefährlich ist.«
Elirion steckte den Pfeil zu den anderen in den Köcher. »Da gibt es nicht viel zu sehen«, erwiderte er kurz angebunden. Dass der Druide das Wort an ihn gerichtet hatte, schien ihm zu missfallen. Er wäre lieber für sich geblieben, um seinen inneren Zorn loszuwerden, und dieser kräuterkundige Kauz mit den unangebrachten Fragen störte ihn dabei nur. »Es ist ein Bogen. Ein magischer Bogen. Und er gehört jetzt mir.« Er wandte sich um und kehrte wieder zur anderen Seite des Platzes zurück, ohne sich weiter um den Druiden zu kümmern.
Sirio kam still hinter ihm her, schlug seinen grünen Umhang beiseite und setzte sich auf die Stufen, die zum Eingang der Häuser des Friedens hinaufführten. »Ich verstehe Euren Schmerz.«
»Nein«, entgegnete Elirion. Er suchte sich einen neuen Pfeil
aus und legte ihn ein, währenddessen sprach er weiter, ohne sich zu dem Druiden umzudrehen. »Ihr versteht überhaupt nichts. Euer Vater ist nicht gestorben, ohne dass Ihr ihm in seinen letzten Augenblicken beistehen konntet. Und Ihr wisst nicht, was mich mit Alfargus verband, was wir miteinander gesprochen haben. Ihr wisst rein gar nichts über mich. Ihr wisst nicht, wie es ist, wenn man plötzlich König der Menschen ist, ohne dass man das je gewollt oder verdient hätte, ohne überhaupt eine Ahnung zu haben, was man nun tun oder lassen sollte.« Er drehte kurz seinen Kopf zu Sirio und warf ihm einen wütenden Blick zu.
Sirio zuckte mit den Schultern, verlor jedoch nichts von seiner unerschütterlichen Ruhe. »Es war nicht meine Absicht vorzugeben, alles zu wissen. Jemand, der allwissend ist, wäre
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