THARKARÚN – Krieger der Nacht
nicht so natürlich vor, wie er es erwartet hatte, und er war sich nicht sicher, ob er es auch wirklich schaffen konnte.
»Nur Mut«, flüsterte Sirio hinter ihm.
Elirions Finger berührten die Rinde. Fast atemlos legte er die ganze Handfläche darauf und ihm war, als könne er den Lebenssaft zu spüren, der im Stamm pulsierte. Ein sachter Windhauch fuhr durch seine Haare und auch durch die verwelkten Blätter, die daraufhin leise raschelten. Er schloss die Augen und versuchte,
seinen Herzschlag an den verborgenen Lymphstrom des Baumes anzupassen, als ob er und die Pflanze eins wären, ein einziger Körper, den dieselben Organe nährten, als ob er Wurzeln hätte und der Baum Augen, um zu sehen, und eine Stimme, um zu sprechen, um zu ihm zu sprechen.
Er wollte, dass die Esche ihm sagte, was er tun solle, wohin ihn dieser Weg führen werde, den er ganz gegen seinen Willen angetreten hatte, was aus ihm werden würde. Vielleicht hatte der Baum ja wirklich eine Stimme, um ihm alles zu erklären.
Ein Ast streifte ihn an der Schulter. Möglicherweise hatte ihn nur der Wind bewegt, doch Elirion wusste, dass der Lufthauch dafür zu schwach war, und wollte glauben, dass der Baum ihn bewusst berührt hatte. Hinter ihm stand Sirio und schwieg, doch er gab ihm Halt. Da löste Elirion die Hand von der rauen Rinde und ergriff den Ast. Er war ungewöhnlich glatt und hatte eine zu klare Form, um einfach nur irgendein Ast zu sein. Elirion merkte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte, und ihm wurde bewusst, dass er nur selten eine so starke Erregung gespürt hatte, sie war nur mit der schrecklichen Erfahrung vergleichbar, als er die Nachricht vom Tod seines Vaters bekam, oder dem schönen, nie gekannten Schauder, als er Naime geküsst hatte. Und doch war das Gefühl anders. Er fühlte sich im perfekten Gleichklang mit der Esche und hätte am liebsten diese Verbindung nie mehr unterbrochen.
»Nur Mut«, forderte ihn Sirio sanft auf. »Nimm ihn dir.«
Elirion schloss die Hand um den glatten, geraden Zweig und zog. Er hätte erwartet, auf Widerstand zu stoßen, aber zu seiner großen Verwunderung ging der Ast mit seinem Arm mit, als wäre er niemals fest mit dem Baum verbunden gewesen, sondern hätte in einer Höhlung gesteckt, aus der man ihn nur herausziehen musste. Elirion brauchte ein paar Sekunden, ehe er wieder die Augen öffnen konnte, als er sicher war, dass alles vorbei war. Es fiel ihm nicht leicht, die Verbindung zum Baum zu lösen, jetzt, da er wusste, wie schön und intensiv sie war, denn sobald er die
Augen öffnen und den Ast in seinen Händen betrachten würde, wäre sie unwiederbringlich zerbrochen.
Dieses Mal musste ihn Sirio allerdings nicht sanft auffordern. Elirion wusste, dass er es tun musste, und hob langsam seine Lider. Immer noch wölbte sich über ihnen der Nachthimmel, vielleicht leuchteten die Sterne etwas kräftiger und der Mond war etwas weiter gewandert. Die Esche stand still und starr wie vorher, und Allan Sirio war neben ihm, sanft beleuchtete der Mond sein dunkles Halbblutgesicht.
Elirion wandte den Blick nach unten und erblickte den Stab.
Es war merkwürdig, ihn dort in seiner Hand zu sehen, als sei er schon immer dort gewesen. Instinktiv fühlte er, dass dies und kein anderer sein Platz war. Er hatte noch nie zuvor etwas Ähnliches empfunden, nicht einmal, als er den magischen Bogen in die Hand nahm. Das war sein Stab, sein Zauberstab, den sein Bruderbaum ihm und keinem anderen geschenkt hatte. Er begriff, dass seine Verbindung zu der Esche niemals mehr enden würde, auch dann nicht, wenn er diesen Ort verließe, dass der Stab die Verlängerung seines Armes war, so wie er und der Baum gerade eins gewesen waren.
Er war fast gerührt. Das war kein Gefühl, auf das man ihn vorbereitet hatte, das zu einem König der Menschen passte. Aber in diesem Augenblick war er kein König und er dachte auch nicht wie einer. Es kümmerte ihn nicht, dass Herg allein im Zelt zurückgeblieben war und plötzlich aufwachen konnte und sich dann sorgte, wo sie wohl waren, es kümmerte ihn nicht, dass keiner seiner Vorfahren sich jemals mit okkulten Künsten beschäftigt hatte und alle dies für eine finstere Tätigkeit hielten, die eines Königs nicht würdig war. Er war ein Zauberer, und Sirio hatte ganz recht, ein Zauberer brauchte einen Stab. Und er hatte ihn jetzt.
Zum ersten Mal seit langer Zeit, vielleicht zum ersten Mal in seinem ganzen Leben, hatte er das Gefühl, dass ihm nichts mehr fehlte, und es gab
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