THARKARÚN – Krieger der Nacht
geben
musste. Wenn es das Böse nicht gibt, hat auch das zukünftige Gute keinen Sinn. Der Tag, an dem alles Unvollkommene ausgelöscht sein wird, steht seit Ewigkeiten fest, doch damit er kommen kann, muss diese Welt existieren, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Die Macht, die man uns übertragen hat, darf uns nicht blenden. Wer nichts tut aus Angst, er könne Schaden anrichten, verursacht damit noch schlimmeren Schaden. Die Welt hatte eine Daseinsberechtigung. Wie konnten wir ihr diese verwehren?«
Niemand antwortete, bis Anman sagte: »Die Welt soll leben.«
Und die Welt lebte unter den Augen der zwölf und so begann das erste Zeitalter der Großen Zeitrechnung. Man nannte es »die Zeit unter den Sternen«.
Es war eine glückliche Zeit. Noch gab es das Böse nicht auf der Welt, die friedlich unter dem Licht der Sterne lebte. Alles war unberührt und makellos. Die Götter besuchten die Welt, die sie aus dem Nichts geschaffen hatten und die sie liebten. Sie durchstreiften Wälder, von denen es heute keine Spuren mehr gibt, zogen über Berge, die heute auf dem Meeresgrund begraben liegen. Die Völker existierten damals noch nicht. Trotzdem liebten die Götter diese Welt und verständigten sich mit ihr. Darylon lehrte die Tiere, die Pflanzen und die Erde selbst, sich mitzuteilen. Lilya zeigte ihnen, wie sie sich erinnern konnten. Sirdar begleitete sie über den Tod hinaus, damit sie ihn nicht fürchteten. Anman achtete darauf, dass niemand die Gesetze brach. Und viele Jahrhunderte lang, die nur die Große Zeitrechnung aufzählen kann, kannte die Welt ausschließlich Frieden, Freiheit und Harmonie, und es schien, als sollte dies auf ewig andauern. Es währte so lange, dass die Götter Hoffnung schöpften, Sirdars Prophezeiung am ersten Tag der Großen Zeitrechnung würde sich nicht erfüllen.
Die Fäden des Schicksals jedoch verwoben sich auf eine Weise, die den Göttern entging, und eines Tages kam Kentar erschöpft von einem langen Ritt in der Dunkelheit der Wälder an eine Quelle. Er legte seine Kleider ab, weil er das Wasser auf seiner
Haut spüren wollte. Als er sich der Quelle zuwandte, spiegelte sich Darni in dem Wasser, und sie war nackt und wunderschön. Ihre Haut war bronzefarben und die roten langen Haare fielen ihr über die Schultern. Sie drehte sich zu Kentar um und sah ihn und das Feuer in ihren Augen entzündete die Flamme in seinem Herzen. Darni sah, dass Kentar schön war, groß und stark, und dass sein ungezähmtes Gesicht, umrahmt von einem blonden Lockenschopf, leuchtete. Und die beiden Götter, die in ihrem glücklichen Leben noch nie etwas ersehnt hatten, begehrten einander und entbrannten in Leidenschaft. Dort im Wasser der Quelle vergaßen sie die Prophezeiung. Kentar und Darni vereinigten sich, verborgen vor den Augen der Welt und der anderen zehn Götter, und er legte seinen Samen in ihren Leib. Dies war der Anfang vom Ende.
Als die Leidenschaft aus ihren Köpfen wich, sie sich nackt in der Quelle wiederfanden und sich ihrer Tat bewusst wurden, erkannten sie, dass sich die Prophezeiung durch sie schließlich doch erfüllt hatte. Sie waren verzweifelt. Kentar durcheilte die Welt wie ein Wahnsinniger, und indem er vergebens versuchte, seinem Herzen den Frieden zurückzugeben, zerstörte er alles auf seinem Weg. Alle Geschöpfe flohen vor seiner Wut und selbst die Erde weinte. Darni bedeckte ihr Gesicht mit einem Trauerschleier und verbarg ihren Körper unter schwarzen Tüchern. Sie kehrte eilends nach Adhon-dil zurück, zerkratzte sich unter Tränen die Brust, schrie und klagte. Wie von Sinnen stürzte sie in den goldenen Turm, warf sich vor Anmans Thron in den Staub und bekannte unter Qualen ihre Schuld. Sie bat Anman darum, bestraft zu werden, weil sie das Gesetz verletzt habe, das besagte, dass zwei Unsterbliche sich nie vereinen durften. Sie verlangte, dass man sie von der Insel und aus der Welt verbanne, denn sie sei unwürdig, weiter unter den Göttern zu verweilen oder eine Welt zu bewohnen, die sie selbst dem Abgrund zuführe. Sie verlangte, man solle sie in das Flammenmeer verbannen und ihr die strengste Strafe auferlegen. Anman hörte ihr ernst zu und schwieg. Da öffnete
sich die Tür des Raumes und Kentar erschien, völlig verstört, ein furchtbarer Anblick, und erklärte, nur er allein trage die Schuld, und was auch immer die Strafe für dieses entsetzliche Vergehen sei, so müsse sie ganz auf ihn fallen.
Anman richtete seinen weit vorausschauenden Blick auf die
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