The Acid House (German Edition)
stellte sich als Chrissie vor. Ihr Boyfriend, oder der, der, so wie er sie verwöhnte, gerne ihr Boyfriend gewesen wäre, hieß Richard.
Hinter der Bar warf mir Richard verstohlen gekränkte Blicke zu, ehe ich mich umdrehte und ihm ins Gesicht sah, das ich in einem Barspiegel beobachtet hatte. Er reagierte mit einer nickenden Kopfbewegung, gefolgt von einem verstört gezischten »Hi« und dem verstohlenen Reiben seines Rattenbärtchens, das ihm aus dem pockennarbigen Gesicht wuchs, die Mondlandschaft, auf der es spross, aber eher betonte als kaschierte.
Chrissie hatte eine sprunghafte, weitschweifige Art zu reden, stellte Beobachtungen über die Welt an und zitiertebanale Beispiele aus ihrer eigenen Erfahrung, um sie zu untermauern.
Es ist eine Angewohnheit von mir, den Leuten auf die nackten Arme zu schauen. Die von Chrissie waren von verheilten Einstichen übersät; die Sorte, bei denen immer hässliches Narbengewebe zurückbleibt. Noch unübersehbarer waren die Schnittnarben; nach Tiefe und Position zu urteilen, eher von der Selbsthass- und Frustreaktions-Sorte als von der ernsthaften Selbstmordversuchs-Variante. Ihr Gesicht war offen und lebhaft, aber ihre Augen hatten diesen wässrigen, reduzierten Blick, den man bei Traumatisierten häufig antrifft. Ich las diese Frau wie eine schmierige Landkarte all der Orte, an die man nicht wollte: Sucht, mentaler Zusammenbruch, Drogenpsychose, sexuelle Ausbeutung. In Chrissie erblickte ich jemanden, der sich und die Welt verabscheut und versucht hatte, sich in bessere Zeiten zu drücken und zu ficken, ohne zu erkennen, dass man damit das Problem nur komplizierte. Mir waren zumindest einige der Stationen, an denen Chrissie gewesen war, selbst nicht fremd. Sie sah allerdings aus, als sei sie für diese Ausflüge denkbar schlecht gerüstet und neige dazu, ein bisschen zu lange zu bleiben.
Im Moment schienen Alkohol und Richard ihre Probleme zu sein. Mein erster Gedanke war, dass sie mit beiden gut bedient war. Ich fand Chrissie ziemlich abstoßend. Ihr Körper hatte dicke Fettlagen um Bauch, Schenkel und Hüfte. Ich sah eine geschlagene Frau, die den Zudringlichkeiten des reifen Alters nicht mehr entgegenzusetzen hatte als eine Kleidung, die für ihre fleischige Figur zu jugendlich, spack und offenherzig war.
Ihr teigiges Gesicht grimassierte mich flirtend an. Ich empfand leichten Ekel vor der Frau; fertig bis auf die Knochen, versuchte sie trotzdem ganz ungeniert, eineerotische Anziehungskraft auszuspielen, die ihr längst abhandengekommen war. Die grotesk-burleske Karikatur, die davon geblieben war, blendete sie einfach aus.
Genau da stieg paradoxerweise ein abscheulicher Impuls in mir hoch, der seinen Ursprung in einer nicht genau zu lokalisierenden Gegend im Nahbereich meiner Genitalien zu haben schien: Mit dieser Person, die mich anekelte, genau dieser Frau, würde ich ein Verhältnis anfangen.
Wie das? Vielleicht war es meine angeborene Perversität; vielleicht war Chrissie jene seltsame Arena, in der Ekel und Anziehung aufeinandertreffen. Vielleicht bewunderte ich ihre störrische Weigerung, das unerbittliche Wegschrumpfen ihrer Möglichkeiten zur Kenntnis zu nehmen. Sie benahm sich, als warteten neue, aufregende, bereichernde Erfahrungen gleich um die nächste Ecke, ungeachtet aller Indizien, die auf das Gegenteil hindeuteten. Ich verspürte, wie oft bei solchen Leuten, einen grundlosen Drang, sie zu schütteln und ihr die Wahrheit ins Gesicht zu schreien: Du bist ein abgewracktes, hässliches Stück Fleisch. Dein Leben war bisher hoffnungslos und verabscheuungswürdig, und es kann nur noch schlimmer werden. Scheiße, hör auf, dir was vorzumachen .
Von widerstreitenden Emotionen hin- und hergerissen, verabscheute ich jemanden zutiefst, den ich gleichzeitig zu verführen plante. Erst später gestand ich mir ein, dass diese Gefühle einander keineswegs widersprachen. In diesem Stadium jedoch war ich unsicher, ob Chrissie mit mir flirtete oder nur versuchte, den armseligen Richard eifersüchtig zu machen. Vielleicht wusste sie es selbst nicht so genau.
– Wir fahren morgen an den Strand. Du musst mitkommen, sagte sie.
– Das wär ja toll, lächelte ich überschwänglich, während die Farbe aus Richards Gesicht wich.
– Ich muss vielleicht arbeiten …, stammelte er nervös.
– Na, wenn du uns nicht hinfahren willst, fahren wir eben alleine! sagte sie mit einem affektierten Kleinmädchenlachen, eine Taktik, der sich normalerweise Huren bedienten, wie sie,
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